Bürgerrechte ja – aber doch nicht für jeden

Die Senatskanzel (Fotos: TH)

Demokratiegeschichten aus dem Rathaus

Marmor, Messing, ein Handlauf aus Ebenholz, warme, freundliche Farben empfangen den Gast und die Abgeordneten, die in den Plenarsaal eilen. Ein roter Teppich lädt feierlich ein, durch diesen Treppenaufgang den Bereich der Hamburger Bürgerschaft im Rathaus zu betreten. Auf dem ersten Treppenaufsatz ehrt eine erst 1981 angebrachte Gedenktafel die Bürgerschaftsabgeordneten, die während der NS-Zeit hingerichtet wurden; meist Mitglieder der kommunistischen Fraktion. Oben angekommen, wird man in eine frühere Zeit zurückgeworfen: der idealisierte Lebensweg eines Hamburger Bürgers zur Kaiserzeit wird in goldbraunen Tönen in einem Bilderfries weit oben unter der Decke dargestellt. Bildnerische Zyklen waren damals sehr beliebt, so wurde der Hamburger Maler Hermann de Bruycker beauftragt, die idealisierte Vorstellung von einem bürgerlichen Leben zur Kaiserzeit darzustellen: „von der Wiege bis zum Grabstein.“ Die Bilder wirken fast wie eine Beschwörung der mittelalterlichen ständischen Gesellschaftsordnung, in der jeder seinen Platz kannte und die längst vergangen war! Der Fries beginnt am Fenster der Hofseite und geht im Uhrzeigersinn weiter. Der Mittel- und Höhepunkt des idealen hanseatischen Lebens wird in der Mitte mit der Darstellung des Bürgereids dargestellt. Zwei wackere Handwerker im mittelalterlichen Gewand zeigen auf die zentrale Inschrift „Tritt ein in Bürgergilden und leiste Bürgereid“. Die mittelalterlichen Gilden waren Zusammenschlüsse von Kaufleuten, die später als Zünfte bezeichnet wurden. Die hamburgische Gesellschaft war ständisch orientiert. Als Bürger galten alle, die das Bürgerrecht besaßen.

Der Senatsaufgang

Das volle Bürgerrecht mit dem Recht zur Ausübung eines Gewerbes erhielt aber nur der erste Stand. Dies waren Kaufleute, Ratsherren, Selbstständige mit Grundeigentum (Erbgesessene) – und selbstverständlich nur Männer! Die politischen Entscheidungen wurden vom Rat getroffen. Der „ewige Rat“ ernannte seine Mitglieder selbst innerhalb der vornehmen Kaufmannsfamilien, man verblieb dann auf Lebenszeit im Amt. Der Rat war die Regierung, das oberste Verwaltungsorgan und auch die höchste Rechtsinstanz der Stadt und dessen Machtstellung war nicht unumstritten. Selbstbewusste Bürger waren zunehmend unzufrieden mit der Vormachtstellung des Rates, und es gab Unruhen, die mehrere Verfassungsänderungen (Rezesse) auf dem steinigen Weg zur Mitbestimmung nach sich zogen. Der Hauptrezess von 1712 legte die oberste Staatsgewalt in die Hände der erbgesessenen Bürgerschaft und des Rats. Gesetze konnten nun nur einvernehmlich verabschiedet werden. Von einer Beteiligung einfacher Bürger am politischen Geschehen war man jedoch noch weit entfernt. Im Zuge der politischen Unruhen und der Revolution von 1848 wurde die Verfassungsfrage wieder laut. Hamburg war mit dem Wiederaufbau der Stadt nach dem großen Brand beschäftigt, und die Unzulänglichkeiten der alten Machtstrukturen wurden sichtbar. Im September 1860 trat endlich die „Hamburgische Verfassung“ in Kraft. Nun erhielten alle männlichen Bürger, die Einkommensteuer zahlten, das Recht, die 192 Abgeordneten der Bürgerschaft zu wählen. Diese wählten dann die Senatoren, deren Amt jedoch weiterhin auf Lebenszeit angelegt war. Das war zwar schon ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, aber die Kluft zwischen der in der Bürgerschaft vertretenen wohlhabenden Großbürger und der übrigen Bevölkerung war nach wie vor sehr groß. Die Arbeiter, die unter schlechten Bedingungen lebten und arbeiteten, lehnten sich zunehmend gegen ihre Misere auf. Karl Marx brachte neues kommunistisches Gedankengut, er selbst besuchte Hamburg 1845 und 1849. Die Arbeiter begannen, sich zu organisieren.
Das ausgehende 19. Jahrhundert war auch in Hamburg eine aufregende Zeit mit Umbrüchen und Veränderungen. Endlich nahm die Bürgerschaft sich einiger Reformen an: Die Torsperre wurde aufgehoben und die Gewerbefreiheit beschlossen.

Deckendetails

Damit sanken der Anreiz, das teure Bürgerrecht zu erwerben, und leider auch die Wahlbeteiligung. 1871, nachdem Hamburg dem Deutschen Reich angegliedert wurde, erhielten alle männlichen Bürger über 25 Jahre, das Recht, den Reichstag in Berlin zu wählen. Das Hamburger Wahlrecht, mit seiner Bevorzugung wohlhabender Bevölkerungskreise, erschien mehr und mehr ungerecht und altmodisch. 1879 wurde das Wahlrecht, das nach wie vor an das Bürgerrecht gekoppelt war, noch einmal grundlegend reformiert, sodass große Teile der Bevölkerung ausgeschlossen blieben. 1901 erhielt das erste SPD-Mitglied mit Otto Stolten einen Sitz in der Bürgerschaft. Mit Beginn der Weimarer Republik 1919 wurde das freie, gleiche und geheime Wahlrecht eingeführt. Nun erst konnte die Bürgerschaft die Senatoren wählen, und damit war der Senat erstmals von den gewählten Vertretern der Hamburger Bürger abhängig. Die erste Bürgerschaftswahl fand am 16. März 1919 statt. Die Wahlbeteiligung lag bei circa 80 Prozent, und die SPD lag mit 50,5 Prozent der Stimmen ganz klar vorn. Frauen hatten sowohl das passive als auch das aktive Wahlrecht. 17 der 185 Abgeordneten waren Frauen. Seit dem hat sich vieles zum Guten, aber auch zum Schlechten verändert: In der heutigen Bürgerschaft sind 50 der 121 Abgeordneten Frauen. Die Wahlbeteiligung in 2011 dagegen lag nur bei 57,3 Prozent. Zwischen dem Streben nach Bürgerrechten und dem Verzicht vieler Bürger auf das edle Wahlrecht liegen viele Jahre, darunter auch die undemokratische Zeit von 1933 bis 1945. Fortsetzung folgt … (UL/CF)