Ein literarischer Streifzug

Jens Eisel auf der Cap San Diego Harbour Front (1)
Jens Eisel auf der Cap San Diego Harbour Front (1)

Harbour Front Literaturfestival 2014

DIE ERÖFFNUNG DES FESTIVALS
Wenn Hellmuth Karasek, Klaus-Michael Kühne, Kultursenatorin Barbara Kisseler und die Organisatoren des Harbour Front Literaturfestivals in der Kühne Logistics University den Saal betreten und die Fotografen sie links stehenlassen, dann muss es einen guten Grund geben: Altkanzler Helmut Schmidt war ebenfalls bei der Eröffnung anwesend – eine große Ehre.
Das Festival geht bereits ins sechste Jahr, erstmals mit einer Laufzeit über einen ganzen Monat. Klaus-Michael Kühne weist auf die Veränderungen in der HafenCity hin, die unaufhörlich wächst; es gebe hier sogar ein Postamt, einen Supermarkt und Quartiersmagazine. Mit einem Augenzwinkern gibt er bekannt, dass am nächsten Tag um 9 Uhr in der Früh das Tüddelband an den besten Geschichtenerzähler in der Sparte Kinderbuch durch seine Frau verliehen würde, wer also auch so früh unterwegs sei, ist herzlich in der Katharinenkirche willkommen. Der riesige Stapel an Büchern, die in diesem Jahr beim Festival gelesen werden, sind ein Geschenk an Kühne, der sie an die Universitätsbibliothek weitergeben werde. Seine Studenten könnten sie lesen und ihm davon berichten – ein gelungener und humorvoller Auftakt.
Weniger humorvoll geht es weiter als Hellmuth Karasek über den Ersten und den Zweiten Weltkrieg referiert, er spricht von Überwachung und auch von einem Dritten Weltkrieg. Dieser Stimmmungsdämpfer wird beim Glas Wein im Foyer verarbeitet.

Impressionen
Impressionen

SVEN REGENER IN DER LAEISZHALLE
Am Folgeabend liest einer der interessantesten deutschen Musiker und Autoren in der kleinen Musikhalle: Sven Regener, vielen bekannt als Frontman der Band Element of Crime und Autor von „Herr Lehmann“ liest aus seinem neuesten Buch „Magical Mystery oder: die Rückkehr des Karl Schmidt“. Er werde nur die Teile lesen, die in Hamburg spielen, maximal etwas aus Maschen, so Regener. Und wenn Hamburg mal nicht so gut wegkomme, sei das natürlich nicht die Meinung des Autors, wird vorab mal klargestellt. Regener ist Rock’n’Roll, und das hier ist keine lahme Lesung. Die Arme in die Luft werfend, mit den Händen durch die Haare fahrend und die Brille wieder zurechtrückend, ist Regener in Aktion. Lustig und lakonisch schildert er aus dem aus den Fugen geratenen Leben des Karl Schmidt. Dieser lebt nach einem depressiven Nervenzusammenbruch in einer drogentherapeutischen Einrichtung und trifft zufällig seinen alten Kumpanen Raimund in Altona, der mit Freunden ein Musiklabel hat und mit der Magical Mystery Tour durch die Nachtclubs zieht. Karl kommt mit, ebenso wie die Meerschweinchen Lolek und Bolek, wobei der überraschende Tod Loleks große Probleme bringt. Ein großartiger Abend, bei dem das Publikum Tränen lacht.

KARIN SLAUGHTER IN ST. KATHARINEN
Düster geht es in der ausverkauften Katharinenkirche zu: Die Thrillerautorin Karin Slaughter ist hier wieder zu Gast – mit ihr Regula Venske (Moderation) und Dietmar Wunder (deutscher Text), der Stimme von James Bond und Daniel Craig. Slaughter präsentiert ihr neues Buch „Bittere Wunden“, der sechste Fall für Special Agent Will Trent. Die Lesung wird per livestream übertragen, über den Zuhörer auch Fragen an die Autorin einreichen können.
Und so erfahren wir, dass die aus Georgia stammende Slaughter früher am liebsten „Vom Winde verweht“ gelesen hat, Mark Billingham „Weltklasse“ findet (zu Billingham kommen wir später) und sich nicht vor dem fürchte, was sie schreibe. Sie wisse ja – im Gegensatz zum Leser – wie es weiterginge – und Furcht entstehe, wenn man nicht weiß, was passiere. Gefürchtet habe sie sich, als sie mit drei Kollegen auf dem Weg zu einer Lesung war, in einem Fahrstuhl steckenblieb und das Licht ausging. Alle vier hätten geschrien und waren sich im Nachhinein nicht sicher, ob man sich mit den Krimiautoren einen Spaß erlaubt hatte und man mal testen wollte, ob diese denn wirklich starke Nerven hätten. Ein schöner Abend mit einem symphatischen Trio auf der Bühne, das dem Publikum auch noch ein Horoskop mit auf den Nachhauseweg gibt: „You will have a spooky night“, das ist sehr gut möglich!

JENS EISEL AUF DER CAP SAN DIEGO
Kurz zusammengefasst: Die Cap San Diego liegt in einer Großbaustelle und ist schlecht zu erreichen, die Location ist zu groß, die Moderatorin dominierend, und wenn Jens Eisel eine Frage zu seinem noch nicht veröffentlichten Kurzgeschichten „Hafenlichter“ gestellt bekommt, wird diese mit einem „Ich weiß nicht …“ oder „Ich bin nicht sicher …“ beantwortet. Das so etwas auch besser geht, beweist

MARK BILLINGHAM IN DER ST. PAULI KIRCHE
Mark Billingham ist ein britischer Bestsellerautor, seine Bücher wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt. Mit „Die Lügen der Anderen“ erobert er nun auch Deutschland. Der Thriller wird bereits nach drei Wochen in der vierten Auflage gedruckt, und Billingham fühlt sich sichtlich wohl vor seinem Publikum in der St. Pauli Kirche. Er habe als Schauspieler und Comedian gearbeitet. „I am a performer“, so der sympathische Brite. Schon mit elf Jahren habe er es geliebt, vor der Klasse seine Aufsätze vorzulesen. Bücher schreiben sei Arbeit, aber auf der Bühne aus seinen Büchern vorzulesen, bereite ihm große Freude. Erlebnisse aus dem realen Leben verarbeite er in seinen Büchern, sie helfen ihm, Stimmungen entsprechend auszudrücken: Der Autor wurde vor 15 Jahren mit einem Freund in einem Hotelzimmer in Manchester von drei maskierten Männern überwältigt und gefangen gehalten. Er erinnere sich noch, dass sie Pizza und Bier für fünf Pfund geordert hätten, und statt des Room-Service die Kidnapper vor der Tür standen. Noch heute sei er ungern in Hotels. Auch die Story seines Thrillers „Die Lügen der Anderen“ haben seinen Ursprung in der Realität. Drei britische Paare lernen sich im Urlaub in Florida kennen, verbringen ihre Zeit miteinander – bis ein Mord geschieht. In England treffen sie sich zum Dinner wieder und stellen fest, dass nichts ist, wie es scheint, und jeder etwas zu verbergen hat. Der Schauspieler Stefan Kaminski, der das Buch als Hörbuch eingelesen hat, liest den deutschen Text und nimmt das Publikum gefangen. Ein toller Abend, an dem sich der Brite ausgiebig Zeit nimmt, die vielen Exemplare zu signieren und sich bei jedem Einzelnen für sein Kommen zu bedanken.

BERNHARD SCHLINK IN DER LAEISZHALLE
Platz 1 der Spiegel-Beststellerliste, Platz 1 der Bestsellerliste der New York Times: Der 70-jährige Bernhard Schlink gehört zu den erfolgreichsten deutschen Autoren. Berühmtheit erlangte er durch sein Buch „Der Vorleser“. Beim Festival stellt er sein neues Buch „Die Frau auf der Treppe“ vor. Schlink lebt 2/3 des Jahres in Berlin und 1/3 des Jahres in New York, wo er auch unterrichtet. Er ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch Jurist. Der Roman handelt von einem verschollenen Bild, das nach Jahrzehnten wieder auftaucht. Auf diesem Bild zu sehen: Eine nackte Frau, die eine Treppe hinabschreitet. Es entsteht ein Konflikt zwischen drei Männern, einem Anwalt, dem Maler des Bildes und dessen Besitzer, die sich alle in die Abgebildete verliebt haben. Pate für das Bild in seinem Buch sei ein Bild von Gerhard Richter, das als Postkarte auf seinem Schreibtisch stehe, so Schlink. Und dieses werde jetzt immer mit den Rezensionen in den Zeitungen abgedruckt. Er habe sowohl Ema, der Frau auf dem Bild, sowie auch Gerhard Richter ein Buch geschickt. Auch wenn das Richter-Bild nicht der Anlass für das Buch gewesen sei, sondern einfach gut passte, sagt er: „Ich bin ein naiver Schriftsteller“, so Schlink. Wie er schreibe, überlege er sich vorher nicht – den Inhalt aber schon. Wenn er ein Buch handschriftlich anfinge, würde er es ebenso beenden; wenn er auf dem PC die ersten Gedanken zusammentrage, dann würde das Buch auf dem PC geschrieben. „Das ist nun mal so.“
Schlink ist ruhig und freundlich. Er lässt sich auch nicht vom Moderator, der seine Sicht der Dinge kundtut und nur Fragen stellt, die mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten sind, aus der Ruhe bringen.

FAZIT
Ein buntes Festival mit vielen unterschiedlichen Autoren, Genres, Locations. Vielleicht könnte das Festival im nächsten Jahr auch komplett englischsprachige Lesungen in das Programm aufnehmen. Das spart Zeit für Übersetzungen – und das Gros des Publikums würde dies sicherlich begrüßen.
AF