Schimmel hinter schönem Schein

Einmal die komplette Fassade sanieren
Einmal die komplette Fassade sanieren

Der große Pfusch

Die ersten Gebäude in der westlichen HafenCity gehen auf ihren zehnten Geburtstag zu. Inzwischen ein stolzes Alter für moderne Gebäude. Ein Alter bei dem bei Bürogebäuden schon mal über den nächsten Lebenszyklus oder einen Abriss nachgedacht wird – und sei es auch nur, weil die Bauschäden die Bauherren langsam aber sicher in die Verzweiflung treiben. Denn: 22 Prozent der Bauschäden treten während der Bauzeit auf, 54 Prozent in den ersten drei Lebensjahren, die restlichen 24 Prozent später. Die kleinen und großen Ärgernisse während der Bauphase haben die meisten noch gut in Erinnerung – hier eine feuchte Wand, dort eine in der Wand endende Leitung, Heizung vergessen, Fenster defekt, Schimmel an allen möglichen und unmöglichen Orten. Wohl dem, der die Mängel rechtzeitig erkannt hat, noch einen Ansprechpartner beim Bauunternehmen hat, eine gute Versicherung und/oder dazu noch Garantie und Garantierückbehalt, von dem im Zweifel die Schäden beseitigt werden können. Ärgerlich, doch es kann noch ärgerlicher werden, wenn die Schäden erst später erkannt werden. Untersuchungen haben gezeigt, dass Baumängel – wenn nicht rechtzeitig erkannt und beseitigt –später zu Bauschäden führen, deren Beseitigungskosten die Mängelbeseitigungskosten um ein Vielfaches übersteigen.

Ein Musterbeispiel eines solchen Falles kann zurzeit an der Kaiserkaipromenade besichtigt werden. Feuchtigkeit und Schimmel in der Dämmschicht zwischen Mauerwerk und der sichtbaren Fassade haben es notwendig gemacht, die gesamte Außenschicht inklusive der Dämmung abzunehmen und neu aufzutragen – der Super-GAU für Eigentümer und Bewohner, die sowieso schon Kummer durch die jahrelangen Arbeiten am U-Bahnnotausstieg gewohnt waren. Eine komplett verhüllte Fassade in der schönsten Jahreszeit – auch wenn das Wetter im Juni eher trist war – fügt der Depression ob der Kosten noch einen weiteren seelischen Tiefpunkt hinzu. Laut einer gemeinsamen Untersuchung des Instituts für Bauforschung e. V. und des Bauherrenschutzbundes bestehen wesentliche Ursachen für Mängel aus 21 Prozent Planungsfehlern, 25 Prozent Bauleitungsfehlern, 45 Prozent Fehlern in der Bauausführung, sechs Prozent Materialfehlern und drei Prozent unvorhersehbaren Einflüssen.

Verhüllung zur schönsten Sommerzeit
Verhüllung zur schönsten Sommerzeit

In der Realität bedeutet das meistens, dass der Bauherr den eigentlichen Verursacher nur mit Glück noch haftbar machen kann, da er meistens im Gewirr von Sub- und Subsubunternehmern untergetaucht oder sowieso schon insolvent ist. Und es geht meistens um viel Geld: Die durchschnittliche Schadenssumme bei Bauschäden lag 2013 bei 67.000 Euro pro Jahr, der durchschnittliche Streitwert vor Gericht bei 42.000 Euro. Wohlgemerkt, der durchschnittliche Wert, denn in Einzelfällen – wie am Kaiserkai – liegen die Schadenssummen weit darüber und liegen in teilweise existenzbedrohender Höhe für das einzelne WEG-Mitglied, wenn nicht Versicherung oder Verursacher zur Deckung herbeigezogen werden können. Die Tendenz der letzten zehn Jahre ist dabei besorgniserregend.

Ziemlich dämlich - ausgerechnet die gebeutelte Baugemeinschaft wird als Musterexemplar für Systemkritik genutzt
Ziemlich dämlich – ausgerechnet die gebeutelte Baugemeinschaft wird als Musterexemplar für Systemkritik genutzt

Sowohl die Höhe als auch die Anzahl haben sich verdoppelt, doch wie so häufig liegt der Schwarze Peter nicht nur auf einer Seite. Wer billig will, bekommt billig, heißt es nicht umsonst im Volksmund. Die vermeintlich günstige Lösung, die mithilfe unterbezahlter, osteuropäischer Leiharbeiter erreicht worden ist, erweist sich im Nachhinein als eine echte Luxuslösung. Ein Hohn für die Eigentümer ist dabei die aktuelle Kunstaktion der New Yorker Künstlerin Martha Rosler und des „Urbanisten“ Miguel Robles-Durán am Sandtorkai, bei der ausgerechnet genau dieses durch eine Baugemeinschaft gebaute und gebeutelte Haus als Musterbeispiel spätkapitalistischer Ausbeutung der Gemeinschaft zur persönlichen Bereicherung auf einem der Kunstplakate erscheint. Ziemlich schlechtes Timing der Stadtkuratorin Sophie Goltz. Davon abgesehen, dass die sich ewig wiederholende, platte Gentrifizierungskritik in der HafenCity fehl am Platze ist, höchstens von schlechter Information zeugt und Vorurteile bedient. Nach diesem kurzen Ausflug in Sachen Systemkritik mag man dann doch den Bewohner starke Nerven und eine möglichst schnelle und fehlerlose Wiederherstellung der Fassade wünschen.