Traumschiff

Buchtipp: Die letzte Reise

„So dass es, Lastotschka, ein großes Glück war, dass die Mantas zurückkamen. Vollkommen logisch, also vollkommen und logisch, dass es im selben Moment geschah, in dem Doktor Samir auf das Bootsdeck heraustrat. Genau da erhoben sie sich jenseits der Reling. Ich war wie benommen.

Während sie vor unserer Augenhöhe schwebten, nahm Doktor Samir meinen Besuch zur Seite und flüsterte: Es geht zuende. Damit hat er natürlich die Traurigkeit meines Besuches gemeint. Ob der aber eine Frau oder doch vielleicht ein Mann war, kann ich wirklich nicht sagen.“

Gregor Lanmeister, ein alter Herr, macht eine Kreuzfahrt. Er weiß, dass diese Reise ihn an das andere Ufer bringen wird; er ist zum Sterben bereit. Mit ihm reisen 143 Auserwählte, die das Schiff auch nicht mehr verlassen werden. Auch sie werden auf der Kreuzfahrt sterben, auch wenn einige sich dessen noch nicht bewusst sind.

Lanmeister, der beschlossen hat, nicht mehr zu sprechen, beobachtet die Passagiere an Bord, eine pittoreske Runde aus normalen Reisenden und denjenigen, die ihre letzte Reise antreten. Seine Gedanken, gerichtet an die junge ukrainische Bord-Pianistin, die er zärtlich Lastotschka, Feenseeschwalbe, nennt, schreibt er in Kladden, die er in seiner Kabine versteckt.

Lanmeisters bester Freund, Monsieur Bayoun, der ihm ein geheimnisvolles Mah-Jongg-Spiel mit 144 Steinchen – eines für jeden Todgeweihten – hinterlässt, hat seine Reise in Nizza beendet; auf ihn wartet am Anleger der Leichenwagen. So verbringt der immer wirrer werdende Lanmeister seine Zeit am liebsten an Deck, erfreut sich an der Gesellschaft der Schwalben, Mantas und Zikaden oder lauscht den Gesprächen seiner Freunde. Da ist der Clochard, der keinen weiteren Namen hat und der Tag und Nacht am Rauchertisch sitzt und Rotwein trinkt, Doktor Gilburn mit dem eigenwilligen Humor, Senhora Gailint, die ihm seiner Meinung nach Avancen macht, sein Zimmermädchen Tatjana und der Pfleger Patrick. Am liebsten ist ihm jedoch Kateryna, die junge Pianistin, deren schlecht besuchte Konzerte er genießt – und seine Ausflüge an Deck, bei Nacht, wo er die Sterne beobachtet und über Zeit und Meer, das Leben, die Vergangenheit und die Vergänglichkeit sinniert. Langsam verschwimmen die verschiedenen Zustände des Seins in seinen Aufzeichnungen. Und langsam verschwinden seine körperlichen Kräfte.

Alban Nikolai Herbst lässt seinen Protagonisten wunderbar über sein Leben und seinen Weg zum Sterben reflektieren, mal wehmütig, aber auch humorvoll und zärtlich.

„Traumschiff“ ist ein literarisches Requiem und läutet den Herbst ein.

„Traumschiff“ von Alban Nikolai Herbst ist im mareverlag am 11. August 2015 erschienen.

320 Seiten, gebunden, 22 Euro