„I’m interested in how we feel“

Irvine Welsh (2ter von links)
Irvine Welsh (2ter von links)
Irvine Welsh beim Harbour Front Literaturfestival

Harbour-frontiger geht’s nicht: die Cap  San Diego, am Abend nur von wenigen Lichtern angestrahlt, ist Veranstaltungsort für den Lese-Event mit dem schottischen Autor Irvine Welsh, der aus seinem neuen Roman „Crime“ liest. Die Cap San Diego füllt sich, sehr zur Freude der Veranstalter, die immer wieder die Stuhlreihen auffüllen müssen. Fürsorglich wurden hellblaue Wolldecken auf den Klappstühlen verteilt, zu späterer Stunde zieht dann ein Mitarbeiter seinen Wollpullover aus und legt ihn einer älteren Dame über die Beine.  Irvine Welsh wurde mit „Trainspotting“ weltbekannt; in seinen Romanen dominieren abgestürzte Typen, Parties und Drogen. In „Crime“ geht es um Kinderschänder; dazu stellt Welsh fest, dass heute kein Schriftsteller mehr ein Buch wie Vladimir Nabokovs  vieldiskutierter „Lolita“ veröffentlichen könne, ohne als Pädophiler hingestellt zu werden. Welsh, an dessen schottisches Englisch man sich erstmal gewöhnen muss, liest den Anfang seines Romans im Stehen, das Mikro  in der einen, das Buch in der anderen Hand.

Büchertisch im Bauch der Cap San Diego
Büchertisch im Bauch der Cap San Diego
Ray Lennox, tablettenabhängiger  Cop, fliegt mit seiner Verlobten von London nach Miami in den Urlaub, um ihre Hochzeit zu planen. Lennox, der selbst als Kind missbraucht wurde, jagt Kinderschänder. Und davon kann man sich nicht erholen. Seine Charaktere finde er über die Musik – die ganz miesen entwickele er, wenn er Michael Bolton oder Heavy Metal höre.  Das Scheitern hat für Welsh viele Facetten; es fängt mit einer Sache an, sei es, dass man von seinem Partner verlassen wird, dann finge man an zu trinken, dann verlöre man seinen Job, das Drama verselbstständigt sich und ist nicht mehr aufzuhalten. Ihn interessiere nicht Geld, sondern Gefühle: „I’m interested in how we feel“, und das beschreibe er in seinen Romanen. Ob er sich vorstellen könne, auch mal eine Romanze zu  schreiben, mit Happy-End? Das würde  er doch bereits tun, in seinen Büchern gebe es auch positives. „Crime“ habe ein Happy-End“, und auch in seinem Roman „Ectasy“ haben sich zwei Menschen ineinander verliebt… Romanzen sind also Auslegungssache –  die Bezeichnung „Sex, Drugs, Rock’n Roll“ trifft es in diesem Fall wohl besser.

Diese Veranstaltung im dunklen Bauch des weißen Schwans wird unbestritten zu den Highlights des Harbour Front Festivals zählen.