Konzerthausmeister

Christoph Lieben-Seutter / Brigitte Kugelmann / Jack F. Kurfess © Nicolai Spieß
Christoph Lieben-Seutter / Brigitte Kugelmann / Jack F. Kurfess © Nicolai Spieß

Ein Österreicher macht Hamburg zur Musikstadt: Christoph Lieben-Seutter

Nie hat er daran gedacht, dass die Musik einmal sein berufliches Leben bestimmen würde. Es war eher Zufall, dass sich der 23jährige Christoph Lieben-Seutter auf Anregung einer  Freundin um die ausgeschriebene Assistentenstelle von Generalsekretär Alberto Pereira im Wiener Konzerthaus bewarb – bis dahin war er mit Leib und Seele Softwareingenieur. „Wenn er mich nach drei Monaten wieder rausgeworfen hätte, wäre ich in meinen alten Beruf zurückgegangen“, sagt Lieben-Seutter rückblickend „ich hatte ja nichts zu verlieren.“ Der Zufall wollte es anders:  Alberto Pereira wurde Lieben-Seutters beruflicher Ziehvater und zwanzig Jahre später ist er Generalintendant der Elbphilharmonie und Laeiszhalle und wird das Hamburger Musikleben prägen wie kein anderer.

Allerdings hat die Musik schon in seinem Elternhaus in Wien eine wesentliche Rolle gespielt. Die Eltern spielten Instrumente, waren ehrenamtlich in der Musikszene engagiert und Gastgeber vieler Hauskonzerte mit mittlerweile zum Teil weltbekannten Künstlern. Der Onkel hatte eine Agentur für die Organisation von Pop- und Jazzkonzerten und betrieb zusammen mit den Eltern einen Schallplattenladen. „Meine Mutter holte mich vom Kindergarten ab und ich durfte in der Abhörkabine alle möglichen Schallplatten anhören“, erinnert er sich. Schon als 12jähriger gab der Schüler sein gesamtes Taschengeld für Schallplatten aus, später verdiente er sich bei Veranstaltungen seines Onkels noch Geld dazu und legte so den Grundstein zu seiner Plattensammlung, die heute rund 1500 Alben umfasst – CD’s kamen später hinzu.  Den neuen, erst kürzlich von seiner Frau Theresita geschenkten Plattenspieler nutzt er dennoch zur Zeit kaum  – Schuld daran haben der Computer und die rund 200 Konzerte, die der Generalintendant im ersten Jahr der Elbphilharmonie hörte. Und auch zum Klavierspielen kommt der 53jährige kaum noch, „außerdem spielen meine drei Töchter inzwischen besser als ich es je konnte.“ Kurz vor dem Abitur kam Christoph Lieben-Seutter mit den ersten PC´s in Kontakt und war total fasziniert.

Christoph Lieben-Seutter bei der Eröffnung
Christoph Lieben-Seutter bei der Eröffnung

Sein Berufswunsch stand fest: Er wollte Informatik  studieren. Doch schon nach wenigen Monaten bekam der junge Student ein Job-Angebot  aus der Computerbranche, nahm dieses an und lernte alles vom Programmieren bis zur Vermarktung. Nur im Privatleben blieb er der Musik treu und so sollte es auch bleiben.  Bis zu eben jenem Tag, als er sich „aus einer Laune heraus“ bei Alberto Pereira  bewarb. Drei Jahre im Wiener Konzerthaus und noch einmal drei Jahre am Zürcher Opernhaus arbeitete Lieben-Seutter  für Pereira und lernte in dessen kleinem Team alles, was das Musikgeschäft ausmacht und damit die Grundlagen für seine heutige Tätigkeit.  Anschließend war der Österreicher in Wien neun Jahre lang als Generalsekretär der Konzerthausgesellschaft tätig, bevor er 2007 nach Hamburg wechselte und Generalintendant für die im Bau befindliche Elbphilharmonie und die bestehende Laeiszhalle wurde. 2010 sollte das neue Wahrzeichen der Stadt fertig sein, Infrastruktur und Geld waren bereitgestellt, um rechtzeitig in die Planungen einzusteigen.

Christoph Lieben-Seutter

Und dann kam bekanntlich alles ganz anders: Erst in diesem Jahr  – also zehn Jahre nach seinem Amtsantritt konnte Christoph Lieben-Seutter am 11. Januar 2017 die Elbphilharmonie einweihen. Die Zeit dazwischen hat er optimal genutzt, nachdem er nur 2009 einmal daran gedacht hatte, alles hin zu werfen. „Anfang 2009, als mir klar wurde, dass die Bauverträge mitsamt den zugrundeliegenden Planungsständen so lückenhaft waren, dass jahrelange Streitereien vorprogrammiert waren, habe ich zur damaligen Kultursenatorin von Welck gesagt: Jetzt geh ich wieder.“ Frau von Welck konnte ihn umstimmen und Christoph Lieben-Seutter nahm die Herausforderung an, Elbphilharmonie Konzerte ohne Elbphilharmonie zu veranstalten. Die ganze Stadt wurde zur Bühne: Die Laeiszhalle ebenso wie Kampnagel,  Bürgerhäuser, die Reeperbahn, Schulen, die Kirchen und, und, und – und ganz am Ende, als sich alles schon eingespielt hatte, kam dann  – so Lieben-Seutter, „tatsächlich auch noch die Elbphilharmonie um die Ecke“! Im Nachhinein war die Verzögerung vielleicht nicht nur schlecht.

Rathausdiele Hamburg – v.l.n.r.: Joachim Knuth, Thomas Hengelbrock, Prof. Barbara Kisseler, Christoph Lieben-Seutter, Prof. Klaus-Michael Kühne (© Michael Zapf)
Rathausdiele Hamburg – v.l.n.r.: Joachim Knuth, Thomas Hengelbrock, Prof. Barbara Kisseler, Christoph Lieben-Seutter, Prof. Klaus-Michael Kühne (© Michael Zapf)

Die Dissonanzen mit den anderen Konzertveranstaltern  konnten vor Eröffnung des Konzerthauses bereinigt werden: „Heute ziehen wir alle an einem Strang“. Und vor allem konnten viele Inhalte, Musikfestivals und insgesamt  ein großes Know-how in aller Ruhe entwickelt werden, so dass die Eröffnungssaison vollkommen  komplikationslos verlief. Das erste Jahr der Elbphilharmonie hat alle erwarteten Besucherrekorde gebrochen. Über 4,2 Millionen Besucher waren auf der Plaza, die bereits im November 2016 für das Publikum freigegeben worden war, 660 000 Konzerttickets sind bis Ende Oktober verkauft worden.  „Ich habe erwartet, dass die Konzerte ausverkauft sind, aber ich habe nicht damit gerechnet, dass das Haus so glücklich macht“,  sagt Christoph Lieben-Seutter. Weitere Konzerte mussten aus dem Boden gestampft werden und die geschätzten 1,5 Millionen Besucher für die Plaza waren schnell Makulatur. „Wir könnten das Pinneberger Telefonbuch vorlesen, und der Saal wäre trotzdem voll“, sagte ein staunender Generalintendant zu Beginn des Jahres, 11 Monate später ist es nicht viel anders:  „Wir müssten es jetzt vielleicht vorsingen.“ Nicht alle Besucher kommen wegen des Musikerlebnisses, sondern wegen des Wahrzeichen-Charakters – das hat natürlich auch Nachteile. Es wird manchmal zwischendurch geklatscht und in der Pause gegangen, weil man den Saal ja schließlich gesehen hat. Mit diesen Begleiterscheinungen kann  der Generalintendant gut leben, nur wenn jemand zwei Minuten vor der Pause aufsteht, geht und dazu noch seinen Unmut kundtut, dafür hat er kein Verständnis.

BU: Die Riege der Taktgeber – Christoph Lieben-Seutter, Andrea Zietzschmann, der neue Chefdirigent Alan Gilbert, Lutz Marmor, Joachim Knuth und Achim Dobschall (v. l. n. r.) (Foto: TEN)

Und die Abkürzung „Elphi“ mag er nicht: „Ich finde das  Bauwerk zu stolz und zu mächtig, um es so zu verniedlichen“. Viele hochrangige Gäste von Angela Merkel über fast die gesamte Bundesregierung bis hin zu Donald Trump und den wichtigsten Staatsmännern- und Frauen der Welt, Prinz William, dessen Frau Kate oder Königin Sylvia von Schweden, hat Christoph Lieben-Seutter 2017 durch sein Haus geführt  – die schönsten Erinnerungen sind dennoch andere: Die Feier mit allen Mitarbeitern am Abend nach der Eröffnung der Plaza oder die Choreographin Sasha Waltz, die eine Woche vor der offiziellen Eröffnung das neue Konzerthaus vor ganz normalen Musikinteressenten „eintanzte“ – das waren die Höhepunkte für den Generalintendanten – „ein Haus für alle zu sein, das freut mich und das lebt die Elbphilharmonie sehr stark.“ In Hamburg fühlt sich Lieben-Seutter wohl und seine Frau und seine Kinder zum Glück auch: „Sonst wäre ich nicht so lange geblieben.“ Und so kann die Hansestadt hoffen, dass Christoph Lieben-Seutter noch sehr lange bei Wind und Wetter jeden Morgen aus Eppendorf zu einem der schönsten Arbeitsplätze der Stadt in der HafenCity radelt und von dort die Geschicke der Musikstadt Hamburg lenkt. n DG