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Stofffsüchtig ist insolvent - ein Beispiel wie schwierig das Pflaster HafenCity für Gewerbetreibende ist
Stofffsüchtig ist insolvent – ein Beispiel wie schwierig das Pflaster HafenCity für Gewerbetreibende ist

Risiken und Chancen für Gewerbebetriebe in der HafenCity

Es ist schon ein kleines Drama was sich in diesen Wochen in der Hafencity abspielt: Die schlechten Nachrichten reißen nicht ab. Gastronomie und Handel haben gerade nicht das glückliche Ende des Regenbogens erwischt, kaum jemand hört in den Gesprächen mit den Unternehmern Zufriedenheit. Die letzte Hiobsbotschaft in einer langen Reihe von schlechten Nachrichten ist die Insolvenz von Stoffsüchtig, einem der Zugpferde des Überseeboulevards. Nach dem Weinspeicher B, dem Coa, Lola und Orocolato das nächste leere Ladenlokal – und noch dazu völlig überraschend. Bei vielen der vorgenannten hatte der Dorffunk schon vorher das Publikum vorgewarnt, bei den beiden Jungs von Stoffsüchtig kam das Aus aber aus heiterem Himmel. Dunkle Fantasien machen sich breit, wer mag der nächste Kandidat sein? Dem Kommentator stellt sich dabei die Frage ob hier die offene Diskussion der HafenCity nützt oder schadet? Spielt man den Kritikern Munition zu oder ist es wichtiger die Probleme offen und schmerzfrei zu diskutieren? In Anbetracht des Risikos, das ohne die notwendige Katharsis unter Umständen das Sterben immer weiter geht, kann hier die Antwort inzwischen nur noch die vorbehaltlose Auseinandersetzung mit den Ursachen für die Schwierigkeiten der Gewerbetreibenden sein. Und die sind vielfältig und nicht einfach zu lösen.

Hohe Mieten

Ein Problem, das die HafenCity inzwischen mit vielen Stadtteilen teilt, also durchaus kein Alleinstellungsmerkmal. In fast allen Hamburger Stadtteilen hat inzwischen das große Einzelhandelssterben eingesetzt, alteingesessene Händler können den steigenden Mieten nicht standhalten, Leerstand findet sich von St.Georg bis Fuhlsbüttel, da wo die Flächen einigermaßen attraktiv sind, wird der Leerstand durch die üblichen Verdächtigen besetzt oder umgewidmet, je weiter man in die Außenbezirke kommt desto häufiger wird man schlicht von leeren Schaufenstern begrüßt. In Kombination mit sinkenden Umsätzen des klassischen Handels – die Konkurrenz aus dem Internet und der großen Ketten wird immer stärker – weicht die abwechslungsreiche Handelsstruktur gewachsener Stadtteile einer Monokultur. Die HafenCity versucht in ihrem Grundkonzept dagegenzuhalten, kann sich aber augenscheinlich nicht dem allgemeinen Trend entziehen. Da sich in dem neu entstehenden Stadtteil zudem noch viele bauliche Lücken befinden, müssen sich Akteure zusätzlich mit den Widrigkeiten des Ortes auseinandersetzen, die Bildung eines lebensfähigen Zentrums mit eigener Anziehungskraft ist nicht einfach. Hier generell nach niedrigeren Mieten zu rufen scheint die einfachste Lösung, lässt aber unter Umständen die Interessen der Vermieter außer Betracht. Werden die Daumenschrauben auf Investorenseite zu stark angezogen, findet sich unter Umständen niemand mehr, der in Gewerbeflächen investieren möchte. Die Konzentration auf umsatzabhängige Mieten könnte hier der Stein der Weisen sein, der eine gerechte Verteilung der Risiken und Chancen gewährleistet.

Gestaltungsvorschriften

Wer sich als Gewerbetreibender oder Gastronom auf das Abenteuer HafenCity einlässt, hat es auch sonst nicht einfach. Wahre Berge von Vorschriften erwarten ihn: Außengestaltungsrichtlinien, Lichtverordnungen, Lärmschutz – vieles davon gibt es inzwischen auch in anderen Stadtteilen, die HafenCity hatte aber Zeit und durch die besondere Lage bedingt auch die Voraussetzungen, um besonders umfangreiche – manche sagen auch besonders perfide – Regeln zu entwickeln. Neben dem Bezirk hat man es zusätzlich mit der HafenCity Hamburg GmbH, dem Baudirektor, Senat, unter Umständen noch mit HHLA und dem Überseequartier zu tun – alle mit genauen Vorstellungen davon, was man tun und lassen sollte, wie etwas auszusehen hat. Manche davon haben durchaus beim zweiten Hinsehen einen Sinn, manche aber auch nicht, allen gemeinsam ist, dass sie mit nicht geringen zusätzlichen Kosten für Vermieter und Mieter verbunden sind. Wer sich nicht rechtzeitig damit befasst, dem droht ein böses Erwachen und ständiger Kampf gegen die Bürokratie sowie bei der Werbung eine geringere Sichtbarkeit mit vorstellbaren Folgen. Die Politik hat zwar schon häufig Unterstützung zugesagt – wie in Sachen Außenwerbung – passiert ist aber nichts.

Wetterabhängigkeit

In der HafenCity herrscht ein raues maritimes Klima. Wind, Regen, Temperaturen beeinflussen in nicht unbeträchtlichem Umfang Besucheraufkommen und Lauf- und Aufenthaltsverhalten. An exponierten Stellen weht häufig ein kräftiger Wind, schattige Straßenschluchten werden von Passanten eher gemieden. So kann es passieren, dass der Stadtteil zehntausende Besucher hat, diese sich aber alle an windgeschützten Stellen, in sonnigen Bereichen oder den Promenaden aufhalten – an anderer Stelle wirkt die HafenCity wie ausgestorben. Bei schlechtem Wetter dagegen können alle Bereiche leer sein und selbst die Angestellten verbringen ihre Mittagspause im Büro. Gegen das Wetter ist kein Kraut gewachsen außer entsprechender Wetterschutz – eine Lösung die sich nur für zukünftige Bauten bei vernünftiger Kosten-Nutzen-Relation realisieren lässt – alle andere müssen damit leben und rechnen wie die Bedingungen eben sind.

Sonntagsöffnung

Das vermutete Allheilmittel – aber nur dann, wenn die HafenCity damit ein Alleinstellungsmerkmal bekommt. Gegen eine allgemeine Sonntagsöffnung ist – trotz dass Kirchen und Gewerkschaften dagegen wettern – nichts einzuwenden. Die gesellschaftliche Realität ist doch längst so, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Bevölkerung längst am Sonntag arbeitet. Gastronomie, Polizei, Hafenarbeiter, medizinisches Personal, Putzkolonnen, selbst auf dem Bau ist Arbeit am Wochenende schon längst kein Tabu mehr. Der Markt selbst regelt die Öffnungszeiten am besten, wenn es keinen Bedarf gibt, bleiben die Läden schon von selber zu, da wo es Bedarf gibt, finden sich auch Angestellte, die am Sonntag arbeiten wollen. Trotzdem sei der Einwand erlaubt, dass eine allgemeine Sonntagsöffnung den HafenCity-Gewerbetreibenden nichts nützen wird: Die Erfahrung hat gezeigt, dass gerade an verkaufsoffenen Sonntagen in der City diese eine solche Sogwirkung ausübt, dass die HafenCity dann eher leer bleibt. Die temporär erlaubte Sonntagsöffnung als Starthilfe für die HafenCity würde da zwar helfen, die Frage bleibt aber offen, was dann nach Ablauf der Regelung passiert: Erst die große Ansiedlungswelle, dann der große Exodus? Die Gefahr besteht zumindest. Da auch der Handel in anderen Stadtteilen Probleme hat, wird eine Lex HafenCity sofort Neider auf den Plan rufen, die ebenfalls eine Sonntagsöffnung für ihr Quartier wünschen. Auch wenn es heute noch nicht so aussehen mag: Die Wahrscheinlichkeit einer geregelten allgemeinen Sonntagsöffnungsausnahmeregelung ausschließlich für die HafenCity ist ziemlich gering, eher kommt eine allgemeine Sonntagsöffnung und die hätte keine vorteilhaften Auswirkungen auf die HafenCity.

Besucherstruktur

Die HafenCity ist ein Touristenstadtteil. Diese Erkenntnis sollten Gewerbetreibende und Gastronomen im Auge behalten um erfolgreich zu sein. Zwischen 1500 und 2000 Anwohner leben tatsächlich im Stadtteil, rund ein zehnfaches davon sind die Gruppe der Angestellten und das Gros der Klientel sind Touristen, seien es Hamburger aus anderen Stadtteilen, die sich einmal frischen Wind um die Nasen wehen lassen wollen, die sich Schiffe oder Architektur ansehen, oder Auswärtige bei denen die HafenCity und Speicherstadt inzwischen zum festen Besuchsprogramm gehört. Touristen haben in fast allen Belangen ein anderes Konsumverhalten als lokale Kunden. In der Regel wird nichts Sperriges gekauft, auch der Besuch im Restaurant ist seltener geworden – eher werden Bäckereien und „To Go“-Shops aufgesucht. Unternehmer, die abseits davon bestehen wollen, müssen einmalige Angebote haben, die es so nicht oder selten im Rest der Stadt gibt, und sie müssen intensiver als anderswo die Werbetrommel rühren. Intensive Eigenvermarktung ist da Pflicht, um im Rest der Stadt bekannt zu werden. Das muss in Businessplänen mit einem höheren Etat für Werbung berücksichtigt werden. Klingt paradox ist aber Realität. Wer mit der Idee in die HafenCity kommt, er könne ausschließlich mit Konsumenten aus der HafenCity Geschäfte machen, hat schon verloren. Diese Erkenntnis ist im übrigen kein Geheimtipp mehr sondern wird auch von offizieller Stelle bei der HafenCity Hamburg GmbH propagiert. Auch das Nutzungsverhalten in der Gastronomie bei Angestellten in der Mittagspause hat sich verändert. Während früher der typische hanseatische Kaufmann Geschäfte beim langen Mittagessen besprochen hat werden Vertreter dieser Spezies immer seltener. Der typische Angestellte heutiger Prägung hat eine halbe Stunde Mittagspause, will sein Essen schnell und unkompliziert und möglichst zu einem akzeptablen Preis. Gibt es kein passendes Angebot wird zum Essen auf Mitgebrachtes oder den Supermarkt zurückgegriffen. Die typische Struktur dieser Mittagessenstadtteile kann man in der City Süd begutachten: Morgens tot, mittags Lokale voller Angestellter, abends tot. Durchschnittlicher Preis für ein Mittagstischgericht: 5,90€. Trinken tun die meisten Angestellten später im Büro.

Handel im Wandel

Nun ist es ja nicht so, dass der Handel nur in der HafenCity Schwierigkeiten hat. Das Internet findet in immer mehr Bereichen Möglichkeiten dem stationären Handel das Wasser abzugraben. Das spüren die Händler deutlich und nur wer sich entsprechend positioniert, hat die Chance aber nicht die Garantie zu überleben. Wer glaubt der schlimmste Wandel ist schon vorbei täuscht sich. An allen Orten der Welt bemühen sich Startups darum sich gegenseitig mit Ideen zu überbieten und das Ende der Fahnenstange ist lange nicht erreicht. Unsere Welt befindet sich im Wandel und genauso wandlungsfähig muss der Unternehmer von heute sein.

Fazit

Dass die propagierte Innenstadterweiterung Propaganda ist, sollte auch dem letzten klar geworden sein. Es ist Science Fiction davon auszugehen, dass der sprichwörtliche Graben zwischen hier und der eigentlichen City überwunden werden könnte. Auch die City hat in den Randlagen schon zu kämpfen, nur die eigentlichen Innenstadtlagen bleiben stark. Die Frage ist allerdings wie lange, wenn die Mieten wie am Neuen Wall inzwischen bei 280€/qm pro Monat liegen. Die HafenCity kämpft mit Problemen wie andere Stadtteile auch, hat dabei im Kampf aber auch Plus- und Minuspunkte durch den Ort selbst aufzuwarten. Wer sich der Nachteile bewusst ist und die Vorteile zu nutzen weiß, kann aber durchaus erfolgreich werden – wie überall in der Welt. Flausen im Kopf helfen nirgendwo weiter: Nüchterne Businesspläne anstatt Illusionen führen zum Erfolg. Dabei müssen alle Beteiligten an einen Tisch und lebensfähige Lösungen gefunden werden. Geschieht das nicht, werden es auch aussichtsreiche Newcomer schwer haben. Schon jetzt ist das Rating bei den Banken für die HafenCity in den Keller gegangen und es ist schwierig Finanzierungen für Geschäftsideen zu bekommen. Weitere Insolvenzen könnten sich extrem negativ auf die Zukunft der gesamten gewerblichen HafenCity auswirken.