75 Jahre Eisbrecher Stettin

Andreas Westphalen auf der Stettin
Andreas Westphalen auf der Stettin
ein Interview mit Andreas Westphalen, Hafencity-Anwohner und Autor des frisch erschienenden Buches „Dampfeisbrecher Stettin und die deutschen See-Eisbrecher“

09. April 1940
Der Eisbrecher STETTIN nimmt Fahrt auf Kopenhagen. Ziel ist die Besetzung Dänemarks. Die STETTIN soll für den Minenleger HANSESTADT DANZIG als Eis- und Sperrbrecher fungieren, da weder Teile der Ostsee noch des Hafens in Kopenhagen eisfrei sind. Dort  liegt bereits das schwerbewaffnete Küstenpanzerschiff NIELS JUELS der Dänen. Die STETTIN führt ein Maschinengewehr mit sich.

Hier könnte die Geschichte des Eisbrechers STETTIN zu Ende sein.

Aber die Dänen schiessen nicht. Die STETTIN kann unversehrt nach Swinemünde zurückfahren.

Die Stettin vor dem Gaswerk am Grossen Grasbrook
Die Stettin vor dem Gaswerk am Grossen Grasbrook
Dieser bewegende Moment im Leben des Eisbrechers – und viele weitere – schildert Andreas Westphalen in seinem Buch „Dampfeisbrecher Stettin und die deutschen See-Eisbrecher“. Als Laie schlucke ich erst einmal, als ich das 192 Seiten starke Werk überreicht bekomme; aber spätestens, als ich die ersten Seiten gelesen habe und am 06.09.08 auch noch an der 2-stündigen Geburtstagsfahrt für Vereinsmitglieder auf der STETTIN teilnehmen darf, lasse ich mich von Andreas’ Begeisterung anstecken.

Andreas, was weckte Dein Interesse für die Dampfschifffahrt im allgemeinen und für die Stettin im speziellen?

Ausfallsichere Kommunikation mit dem Maschinenraum
Ausfallsichere Kommunikation mit dem Maschinenraum
Ich komme aus Flensburg, dort gibt es das Dampfschiff Alexandra, das dieses Jahr übrigens ihren 100-jährigen Geburtstag feiert. Mit 14 Jahren habe ich mitgeholfen, das Schiff wieder zum laufen zu bringen. Die Stettin lieferte den Motivationsschub – sie ist das Symbol der Wiederauferstehung der  Dampfschifffahrt. Die Alexandra ist übrigens mein Lieblingsdampfschiff und ist auf allen drei Büchern, die ich nun geschrieben habe, auf den Buchcovern präsent.

Wie bist Du darauf gekommen, ein Buch über die Stettin zu schreiben?

Der Verein bat mich anlässlich des 75-jährigen Jubiläums um eine Archivanfertigung, d.h. die digitale Erfassung aller Daten, Fotos und Dokumente, die es von der Stettin gibt. Da bot es sich an, gleich ein Buch daraus zu machen, das sozusagen das handfeste Resultat ist.

Das Heck der Stettin
Das Heck der Stettin
Bist Du bei Deinen Recherchen auf etwas Besonderes gestossen, was hat Dich am meisten beeindruckt?

Am meisten beeindruckt haben mich die Gespräche mit den alten Eisbrecherkapitänen und den Experten – deren spannende Geschichten finden sich auch im Buch wieder. 

Woher hast Du die ganzen Fotos, Logbücher, Zeitdokumente – wie viel Zeit hat es gekostet, das alles zusammenzutragen und zu sichten?

Über 50 Sammler und offizielle Archive wurden befragt und haben Material zur Verfügung gestellt. Das ganze Unterfangen hat 2 voll ausgefüllte Winterhalbjahre gedauert.

Wie ist es zu dem Namen Stettin gekommen?

Die Stettin war das Flaggschiff der Stettiner Eisbrecherflotte, deshalb der Name; eigentlich ist es die Stettin (2), die zeitgleich fahrende Stettin  (1) wurde umbenannt.

 

Nur wenn geschaufelt wird ist Dampf im Kessel
Nur wenn geschaufelt wird ist Dampf im Kessel
Wieviel Zeit hat die Stettin in ihrer aktiven Zeit damit verbracht, als Eisbrecher im Einsatz zu sein?

Ich bin die ganzen Schiffstagebücher durchgegangen: 4% der aktiven 50 Jahre hat die Stettin Eis gebrochen. Zum Vergleich: Die heutigen  Multipurpose vessels verbringen 2% ihrer Zeit damit, Eis zu brechen.

Der Kompass der Stattin
Der Kompass der Stattin
Die Stettin ist ein sehr stabiler Eisbrecher, der größte deutsche Eisbrecher seiner Zeit mit 2000 PS, der vielen Schiffen geholfen hat  – gab es Momente – abgesehen von der Fahrt auf Kopenhagen – in denen die Stettin selbst in Gefahr war?

Gefährlich war sicherlich die zweite Fahrt nach Kopenhagen, die Stettin war mittlerweile ein Flüchtlingsschiff. Am 8.5.1945 lief sie mit 500 Flüchtlingen an Bord in Kopenhagen ein. Emotional ist es, wenn Zeitzeugen sich daran erinnern „dass so schönes Wetter war“.  Einige Male ist die Stettin selbst im Eis steckengeblieben, es gab Beulen ohne Ende und auch einen Minentreffer.

Das Buch
Das Buch
Wenn Du die Geschichte der Stettin Revue passieren lässt – gibt es eine Zeit, eine Fahrt, bei der Du gern dabei gewesen wärst?

Ja, leider hab ich die Fahrten nach Stettin 1998 und 2006 verpasst, die Besuche des alten Heimathafens Stettin, heute polnisch Szczecin.

Die Stettin ist seit 25 Jahren ein Museumsschiff; wäre sie theoretisch noch als Eisbrecher einsatzbereit (falls z.B. die Elbe mal wieder zufrieren würde?)

Das könnte sie problemlos, wenn man die Besatzung zusammenkriegen würde. Das Schiff braucht eine 22-Mann-Besatzung.

Was ist eigentlich aus den Schwesterschiffen der Stettin, die auf einem Foto von 1937 im Buch zu sehen sind – der Preussen, der Pommern, der Berlin und der Swinemünde – geworden?

Die wurden, wie fast alle Schiffe, verschrottet.

Für alle, die jetzt neugierig geworden sind: die Stettin ist auch bei der Eröffnungsparty des Traditionsschiffhafens am 20./ 21. September dabei!

Buchtipp:
Andreas Westphalen – Dampfeisbrecher STETTIN und die deutschen See-Eisbrecher. Erschienen im Hauschild-Verlag, ISBN 978-3-89757-422-9