Gefunden vom Schlossherrn

Das Ziffernblatt des alten Hafenamtes an seiner ursprünglichen Position (Foto: Cristian Oehler)
Das Ziffernblatt des alten Hafenamtes an seiner ursprünglichen Position (Foto: Cristian Oehler)

„Sagen Sie, woher stammt die Uhr?“

Neben der Frage nach der Geschichte des Fleetschlösschens und dem Alter des Hauses ist die Frage nach dem alten Ziffernblatt die häufigste, die mir von meinen Gästen gestellt wird. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich dann auf das alte Amt für Strom- und Hafenbau zeigen kann und die Frage für eine Kurzgeschichte über die Entwicklung des Hamburger Hafens in den letzten 110 Jahren nutze. Denn noch heute ist der Hafen, so sehr Hamburg auch begrifflich damit verbunden wird, für Touristen, aber erstaunlicherweise auch den überwiegenden Teil der Hamburger ein weißer Fleck.

„Gefunden habe ich das Ziffernblatt nicht; ich habe es geklaut!“ Wenn ich meine Kurzgeschichte auf diese Art einleite, bin ich mir der Aufmerksamkeit jedes Mal gewiss.

Das Ziffernblatt ist nur eines von vier Blättern eines Uhrenturms, der auf einem Nebengebäude des jetzt noch erhaltenen Gebäudeteils in der Osakaallee stand. „Wenn Sie sich ein Bild machen wollen, schauen Sie einmal hinauf zum prächtigen Rathaus des Hafens, der HHLA AG. Ganz so groß war die 1904 erbaute Uhr der heutigen HPA nicht, aber häufig ging der Blick der rings um das Amt arbeitenden Werks- und Hafenarbeiter zur Uhr, nicht selten in Erwartung eines guten Mittagessens oder zu dieser Jahreszeit in der Hoffnung auf einen heißen Kaffee, denn unter dem Uhrenturm befand sich eine der größten Kantinen der Stadt, und Armbanduhren hatten wohl die wenigsten Malocher – viel zu kostspielig zur damaligen Zeit.“

„Aber warum hat man so eine Kostbarkeit denn abgerissen?“, ist dann natürlich die nächste Frage, verbunden mit einem Blick des missbilligenden Unverständnisses.

„Weil Denkmalschutz teuer ist und finanziert sein will“, gebe ich dann stets zur Antwort und weise darauf hin, dass noch heute der erhaltene, älteste Gebäudeteil keinen Investor im Sinne des Masterplans HafenCity und des Denkmalschutzamtes gefunden hat, obgleich die Idee einer Markthalle, ähnlich der beispielsweise in Stuttgart, eine hervorragende Lösung und ein enormer Gewinn für das Viertel wäre. „Aber abgerissen wird nicht! Da müssen Sie sich keine Sorgen machen, komme ich der Frage zuvor.

Jetzt is es Mittelpunkt des Fleetschlössschens
Jetzt is es Mittelpunkt des Fleetschlössschens

Ich hatte seinerzeit den Abrissunternehmer angerufen, nachdem ich Gespräche mit Mitarbeitern des Denkmalschutzamtes und der HafenCity GmbH geführt hatte, um herauszubekommen, von wem ich den Uhrenturm kaufen könnte. Obgleich ich zu diesem Zeitpunkt alle Ersparnisse in die Gründung des Fleetschlösschens gesteckt hatte und wusste, dass ich höchstens einen symbolischen Cent würde zahlen können, wollte ich nichts unversucht lassen. Ich stellte jedoch ziemlich schnell fest, dass von Seiten des Abrissunternehmers nicht das geringste Interesse bestand, „das Ding“ zu erhalten, und so erhöhte ich mein Angebot sofort auf den doppelten Kupferpreis, was in etwa 6.000 Euro entsprochen hätte und mir eine aufregende Suche nach einem Geldgeber beschert hätte. Aber ich dachte, dass dies die Sprache ist, die dieser Abrissunternehmer verstehen musste, war er doch Kaufmann. Diese Vermutung war falsch! Zwar standen die schweren Bagger schon bereit, und den Zeitaufwand für seine Mitarbeiter vor Ort schätzte ich auf eine gute Stunde, nachdem ich die tragende Holzkonstruktion im Inneren losgeschraubt hätte, doch die endgültige Antwort auf mein Angebot fiel eindeutig aus: „Dafür habe ich keine Zeit!“, waren die letzten Worte, an die ich mich heute im Zusammenhang mit diesem Telefonat erinnere. Vor allem aber waren diese Worte die Initialzündung für meinen Entschluss, die Uhr so oder so an mich zu bringen, um sie für das Quartier zu erhalten. Hier möchte ich zu meiner Verteidigung anmerken, dass ich die Uhr bis heute nie als mein Eigentum angesehen habe – was faktisch auch unmöglich ist, weil man an gestohlenen Dingen kein Eigentum erwerben kann –, vielmehr wird es mir eine Freude sein, wenn das, was heute noch übrig ist einmal in der neuen Markthalle hängen wird und läuft! Das wundervolle alte Uhrwerk stammte aus derselben Werkstatt wie das heute noch zu bewundernde Werk im Rathaus und soll, so wurde mir berichtet, von der HPA eingelagert worden sein. Jedenfalls wurde es damals nicht mit abgerissen, und so bin ich sicher, dass sich der Verbleib in jedem Fall klären lässt und der heutige Besitzer es mir dann gleichtun wird, damit sich die Öffentlichkeit wieder an diesem Stück Geschichte des Hamburger Hafens wird erfreuen können.

Ursprünglich war mein Plan gewesen, vier Quadratmeter im heutigen Überseequartier dauerhaft anzumieten, um dort eine Litfaßsäule aufzustellen, mit der Uhr als Krone. Das wäre ein gutes Geschäft geworden, denn der Marktwert der Werbefläche wäre ungleich höher gewesen, weil die historische Uhr als neutraler Eyecatcher gewirkt hätte. „Hätte, hätte“, sagt Anette!

Zumindest wurden meine Mühen dann durch das Glück belohnt, zum rechten Zeitpunkt aus dem Fenster zu schauen, als die Baggerschaufel in die Uhr rauschte. Nach einem kurzen Aufschrei überließ ich das Fleetschlösschen den verdutzten Gästen und stürmte Hals über Kopf über die Baustelle zum Bagger, dessen Fahrer ich wild mit den Armen schwenkend bedeutete, dass er eine Pause einlegen soll. Noch heute frage ich mich, was ich ihm erzählt haben muss, sodass er mich tatsächlich einfach im Gefahrenbereich des einsturzgefährdeten Hauses nach verwertbaren Fundstücken suchen ließ?! Gerne hätte ich damals weitere Teile geborgen, aber das schwere Gerät und die fachmännische Führung hatten alles zerstört. Es war ein kleines Wunder, dass zumindest ein Ziffernblatt den Sturz derart unbeschadet überstanden hatte, dass ich es anschließend über die Baustelle den Brook hinunterrollen konnte. Für die Mitarbeiter der HafenCity Hamburg GmbH, die mir damals entgegenkamen, muss das ein sehr skurriles Bild gewesen sein!

Unwiederbringlich verschwunden
Unwiederbringlich verschwunden

Für viele Häuser war es damals kurz vor zwölf, und viele sind heute Geschichte. Für die, die heute in der Diskussion stehen, lasse ich die Zeiger stets bei kurz vor zwölf, denn ein paar Minuten sollten wir uns doch zumindest mehr nehmen, wenn es um die seltener werdenden Orte geht. Dabei fällt mir die einzige Grünfläche der Speicherstadt ein; auch die Wiese vor dem Fleetschlösschen wird im Sommer 2013 Geschichte sein. Aber zum Trost bleibt uns dann zumindest das grüne Ziffernblatt …