Kaiserliche Pracht für die Republik

Amphritite – das ruhige Meer (Fotos: CF)

Der ganze Prunk der Gründerzeit im Rathaus

Die Bronzetafel mit der Inschrift „Kaiser Wilhelm II. und seine Verbündeten, umgeben von den Vertretern der seefahrenden Nationen, weilten in diesem Hause am 19. Juli 1895 in Anlaß der Eröffnung des Nord-Ostsee-Kanals“ ist nicht sofort sichtbar, wenn man den Kaisersaal von der Bürgerschaftsseite her betritt. Man findet sie über der Tür, die seitlich in den großen Festsaal führt. Zwei allegorische Damenfiguren reichen sich über der Inschrift die Hand: Nord- und Ostsee sind nun verbunden. Kaiser Wilhelm II. gab diesem Saal durch seine bloße Anwesenheit den Namen. Der Empfang anlässlich der Eröffnung des Kanals im noch nicht fertiggestellten Hamburger Rathaus war nur der Auftakt zu den dreitägigen Feierlichkeiten, an dem fast alle regierenden deutschen Fürsten und deren Gefolge sowie eine große Anzahl ausländischer Gäste teilnahmen.

Poseidon – das bewegte Meer

Der Prunk des Raumes versetzt die Gäste des Hamburger Rathauses regelmäßig in bewunderndes Staunen und seine üppige, barocke Pracht verleitet die Teilnehmer an einer Rathausführung oft zu einem direkten Vergleich mit den Räumen eines Schlosses. Warme rötliche Töne herrschen vor. Die Wände sind mit rotem Untersberger Marmor ungefähr bis Hüfthöhe verkleidet. Darüber finden sich rautenförmige Lederstücke, die zu einer der größten zusammenhängenden Ledertapete Europas zusammengenäht wurden. Der Kaisersaal ist der zweitgrößte Repräsentationssaal des Rathauses, Veranstaltungen mit bis zu 100 Personen können hier stattfinden.

Triumpf der deutschen Flagge

Die Gestaltung des Deckengewölbes nimmt direkten Bezug auf das festliche Ereignis, das für Hamburg und die junge deutsche Seefahrt von überragender Bedeutung war. Mit barockem Pathos und Begeisterung für die Sache wurde das großformatige Hauptgemälde an der Decke von Arthur Fitger gemalt. Es heißt „Triumph der deutschen Flagge“, eine Glorifizierung des überseeischen Handels! In einem von Walrossen gezogenen Muschelfahrzeug sitzt Fortuna, das schwarz-weiß-rote Banner, die Reichshandelsflagge, haltend. An den Stirnseiten des Raumes stehen sich der Meeresgott Poseidon und seine Gattin Amphritite gegenüber und symbolisieren das bewegte und das ruhige Meer, Nord- und Ostsee. An den Längsseiten des Raumes finden sich teils freizügig dargestellte Damenbildnisse zur Darstellung wichtiger Hafenstädte an Nord- und Ostsee. Natürlich wird Hamburg ganz besonders majestätisch dargestellt: Als Herrscherin der Meere hält sie Poseidons Dreizack, Perlen und Edelsteine werden vor ihr ausgeschüttet. Auch eine Darstellung Hamburgs als Zentrum internationaler Handelsbeziehungen findet sich zwischen den Frauenbildern. In lebendig wirkenden Stuckarbeiten verraten Darstellungen von völkerkundlichen Gruppen, wohin die Hamburger Kaufleute bereits zur Kaiserzeit gefahren sind. Hamburg – das Tor zur Welt, schon damals!

Ostasien

Die drei Tage dauernden Feierlichkeiten zur Eröffnung des Nord-Ostsee-Kanals begannen im Hamburger Rathaus und kosteten den wilhelminischen Steuerzahler 1,7 Millionen Reichsmark. Hamburgs Bürgermeister gab ein pompöses Mahl im jetzigen Plenarsaal. Neben den 64 Gästen durften noch 400 weitere geladene Gäste am Eröffnungsmahl teilnehmen. Das Essen war opulent, es gab erlesene Getränke und musikalische Untermalung.

Nach den Feierlichkeiten wurden die Gäste auf die im Hamburger Hafen liegenden Schiffe gebracht, und gegen Mitternacht legte der Konvoi von Schiffen aus 14 Nationen in Richtung Brunsbüttel ab. Das Elbufer war zu Ehren der Gäste vom Hafen bis Blankenese erleuchtet. Die kaiserliche Yacht Hohenzollern und die anderen Schiffe erreichten nach einer achtstündigen Fahrt durch den Kanal Kiel Holtenau. Dort fanden in den folgenden Tagen weitere Feiern und der feierliche Akt der Schlusssteinlegung statt.

Bronzetafel im Kaisersaal

Der Name des Kanals, „Nord-Ostsee-Kanal“, war der treffende Arbeitstitel dieses ehrgeizigen Projekts. Zur Eröffnung taufte Wilhelm II. die Wasserstraße überraschend auf den Namen „Kaiser-Wilhelm-Kanal“, als Hommage an Kaiser Wilhelm I., der am 3. Juni 1887 den Grundstein gelegt hatte. Die Zeremonie wurde von dem Briten Birt Acres mit einer Filmkamera aufgenommen, sein Film „Opening of the Kiel Canal“ gilt als eine der ältesten Stummfilmaufnahmen.

Vor dem Hintergrund des Deutsch-Dänischen Krieges 1864 hatte Reichskanzler Otto von Bismarck den Bau des Kanals befürwortet, „die deutsche Flotte muss jederzeit von der Ost- in die Nordsee gelangen, ohne unter dänischen Kanonen passieren zu müssen“. Aber es galt, Widerstände gegen den Bau zu überwinden. Ein Hamburger Geschäftsmann und Reeder, Hermann Dahlström, sah schon früh die wachsenden Handelsaktivitäten voraus und legte der Reichsregierung entsprechende Pläne vor, die militärische mit kaufmännischen Interessen verband. Danach konnte Bismarck Wilhelm I. für den Bau des Kanals begeistern.

Der regelmäßige Betrieb wurde kurz nach der feierlichen Eröffnung am 1. Juli 1895 aufgenommen. Sein Bau kostete 156 Millionen Goldmark. Damit überschritt der Bau, ungewöhnlich für ein Projekt dieser Größenordnung, nicht die veranschlagten Kosten. Die 1902 von Wilhelm II. eingeführte Schaumweinsteuer diente auch zur Finanzierung des Kanals. Der Kanal stand im Eigentum des Reiches, war somit die erste Reichswasserstraße und wurde vom Kaiserlichen Kanalamt/Reichskanalamt in Kiel verwaltet. Heute ist der

Kiel-Canal, wie die offizielle Bezeichnung lautet, die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt! Ohne Berücksichtigung der Sport- und sonstigen Kleinfahrzeuge befuhren den Kanal im Jahr 2011 durchschnittlich 92 Schiffe pro Tag. (Ulrike Lorenzen)