Die fremde Frau

Foto 19.03.16 19 30 05Buchtipp

 „Du überquerst die Straße und gehst nach rechts, nur um auf eine Absperrung zu stoßen, die dich umzukehren und eine andere Route einzuschlagen zwingt. Du erträgst die Blicke der Leute, die deine Haut und deinen Körper taxieren. Sogar eine ältere Großmutter mit einem kleinen Jungen an der Hand starrt dich an, als wollte sie sagen: Du hast hier nichts zu suchen. (…) Endlich erreichst du die Botschaft. Es ist zwanzig vor fünf. Du bist immer noch durchnässt vom Regen. Du hättest dir einen Schirm mitnehmen sollen. Eine befreundete Psychiaterin hat dir mal erzählt, einen geistig labilen Menschen erkenne man daran, dass er immer unpassend angezogen sei.“

Eine junge Amerikanerin reist nach Casablanca; sie will die Trennung von ihrem Mann verarbeiten. Als sie im Hotel ankommt und einchecken möchte, muss sie feststellen, dass ihr Rucksack nicht mehr da ist. Im Rucksack befinden sich Reisepass, Kreditkarten, Geld, Flugtickets – alles, was auf ihre Identität hinweist. Die Hoteldirektion und die Polizeibeamten verdächtigt sie eines abgekarteten Spiels; interessiert an einer Aufklärung des Diebstahls scheint vorerst keiner zu sein. Doch bereits am nächsten Tag wird sie auf die Polizeiwache gebeten. Der Polizeichef überreicht ihr einen Rucksack: den Rucksack einer fremden Frau. Unsicher, was sie tun soll, unterschreibt sie die Aushändigung „ihres“ Rucksackes und ihrer persönlichen Dokumente. Von nun an ist sie Sabine Alyse. Doch wie lange wird die wahre Sabine Alyse ihre Kreditkarten nicht sperren lassen? Und wie soll sie ohne Bargeld in Casablanca zurechtkommen? Als sie vom schmuddeligen Golden Tulip ins teure Nachbarhotel wechselt, wendet sich das Schicksal: eine weltberühmte amerikanische Schauspielerin, deren Lichtdouble ausgefallen ist, wird auf sie aufmerksam. Sie wird für die nächsten Wochen engagiert, Filmszenen als Double vorzubereiten, bevor die fragile und exzentrische Schauspielerin die Szenen dreht. Wieder schlüpft sie in die Rolle einer anderen – bis sie einen Schritt zu weit geht.

„Des Tauchers leere Kleider“ ist das Abenteuer einer Frau, die auf der Flucht ist und immer weiter in den Sog des Unbekannten – und der Unbekannten – gerät. Von ihrem eigenen Selbst kann sie sich schnell lösen und auf Distanz gehen; dies wird dadurch unterstrichen, dass der Roman in der zweiten Person geschrieben ist. Die Frau beobachtet sich selbst, ihr Umfeld und fühlt sich beobachtet. Alles scheint sich gegen sie zu wenden. Wie in einem düsteren Krimi bewegt sie die Hauptfigur durch eine fremde Welt, immer mit einem hastigen Blick über die Schulter, wer ihr folgen mag.

Irritierend, düster, spannend!

Des Tauchers leere Kleider von Vendela Vida ist im Februar 2016 im aufbau Verlag erschienen. 252 Seiten, gebunden, Euro 19,95,-