Hamburgs neue Innenstadt

Das südliche Überseequartier  als Visualisierung – hier wachsen  die Gebäude in den Himmel  (Foto: Unibail-Rodamco/moka-studio)
Das südliche Überseequartier
als Visualisierung – hier wachsen
die Gebäude in den Himmel
(Foto: Unibail-Rodamco/moka-studio)

Die Entwürfe für das südliche Überseequartier zeigen Größe

Größer als das Alstertal-Einkaufszentrum, mehr Läden, Kino und Kreuzfahrtterminal – ein Projekt der Superlative soll im südlichen Überseequartier entstehen. Wo sich heute noch ein Biotop auf den verrottenden Fundamenten des ersten Versuches des südlichen Überseequartiers entwickelt, sollen die Arbeiter schon 2017 losgehen – wenn es nach dem Investor Unibail-Rodamco geht, sogar schon früher.

Alles, was vorher an Shoppingflächen in der HafenCity geplant war, nimmt sich dagegen wie das Miniaturwunderland gegenüber der realen Welt aus. Jetzt wurden die architektonischen Entwürfe vorgestellt und schon im Eilverfahren diskutiert. Für alle elf Gebäude des Quartiers erarbeitete Unibail-Rodamco in Kooperation mit der HafenCity Hamburg GmbH und der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen im Jahr 2015 gemeinsam mit internationalen wie nationalen Architekturbüros neue Architekturentwürfe. Ein neuer Bebauungsplan wird derzeit erarbeitet, auf dessen Basis die Bauanträge gestellt und Baugenehmigungen erteilt werden können.

Rund 860 Millionen Euro sollen in 260.000 Quadratmeter Handelsflächen verbaut werden, davon entfallen rund 80.500 Quadratmeter auf Einzelhandel, 55.000 Quadratmeter auf Wohnen und weitere 65.000 Quadratmeter auf Büros. Für Kultur und Entertainment sind rund 12.000 Quadratmeter vorgesehen, für Gastronomie ca. 8.000 Quadratmeter und die Hotels werden ca. 40.000 Quadratmeter in Anspruch nehmen. Dimensionen, die nicht nur in der HafenCity sondern in der gesamten Stadt die Gravitationszentren verschieben werden. Die Einzelhandelsflächen im südlichen Überseequartier werden über drei Stockwerke – Warftgeschoss, Erdgeschoss und erstes Obergeschoss – organisiert, mit einem Rundlauf im Warft- und im Erdgeschoss. Dies erlaubt einen Größenmix der Läden und großzügige Schaufensterfronten. Die Gebäude südlich der U-Bahn werden durch ein gläsernes Dach und eine veränderte Ausrichtung vor Wind und Regen geschützt. Die Aufenthaltsqualität erhöht sich dadurch erheblich, doch – anders als in einer vollklimatisierten Mall – bleibt der offene Straßenraum zwischen den Gebäuden erhalten.

Große Ankernutzer im Einzelhandel, neue Entertainment-angebote, darunter ein großes Multiplex-Kino mit über zehn Sälen und 2.700 Sitzen und ein Kreuzfahrtterminal, sollen im Überseequartier für eine hohe Grundfrequenz der Besucher sorgen, auch innerhalb der Woche und in den Abendstunden.

Elf Gebäude bilden das südliche Überseequartier

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Ab in den Süden – Lassen Sie sich überraschen

Eigentlich seltsam: Da wird fast so viel Geld im südlichen Überseequartier verbaut, wie Hamburg selbst für Olympia ausgeben wollte, mit Kinos, Geschäften und Wohnungen, einem Kreuzfahrtterminal, und, und, und – doch irgendwie trifft man nur auf Bedenkenträger.

Ja, die vielen Autos, wo sollen die denn parken? Und überhaupt, wer soll denn in den vielen Geschäften einkaufen? Die Innenstadt verödet! Der Überseeboulevard verödet! Überhaupt kein besonderes Konzept wie versprochen! Meine Aussicht wird verbaut! Irgendwie findet man bestimmt ein Haar in der Suppe und aus der Sicht des jeweils Betroffenen mögen die Argumente ja stimmen, letztlich entscheidet aber der Markt und das Leben, was erfolgreich sein wird und was nicht. Jeden Tag Chaos auf den Straßen, die einen wollen ins Konzert, die anderen shoppen und eine kleine Minderheit nur nach Hause? Wird sich regeln: Die einen bleiben genervt fern, die anderen kommen mit der U4, der eine zieht weg, der andere her. Wer sich die prognostizierten Besucherzahlen ansieht, weiß das es in der HafenCity immer zu wenig Parkplätze geben wird und die Straßen nicht breit genug sein können. Braucht Hamburg noch eine Shopping-Mall von den Ausmaßen des AEZ oder des EEZ? Kaum vorherzusagen, aber auch nicht auszuschließen. Mehr Shopping, mehr Hotels, mehr Musicals, mehr Attraktionen – Hamburg wandelt sich in eine echte Metropole und zieht immer mehr Menschen an – auch ohne Olympia. Die Bedürfnisse einzelner Händler und Anwohner sind da nur kollateral zu betrachten. Natürlich ist der alte Überseeboulevard nicht so attraktiv wie der neue, natürlich wird Kaufkraft aus den B- und C-Lagen nicht nur in der HafenCity abgezogen, aber so ist das nun mal, Leben heißt Veränderung und gerade die jetzt an den Start gehenden Bauprojekte werden die Karten in der westlichen HafenCity noch einmal komplett neu mischen. Und natürlich kann auch das passieren: Es gibt nochmal eine Finanzkrise oder der Einzelhandel findet es total doof, sich in einer attraktiven Lage am Wasser zu konzentrieren und Hamburg blickt auf 80.000 Quadratmeter leerstehender Ladenflächen, aber mal ehrlich: Glaubt das irgendwer wirklich? Also: Freuen wir uns darauf und lassen uns überraschen, wie die HafenCity schon in wenigen Jahren aussehen wird.

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Entgegen den sonstigen Gepflogenheiten in der HafenCity wurden für die Architekturentwürfe keine offenen Wettbewerbe durchgeführt. Teils in Workshop-Verfahren, teils im Rahmen von Wettbewerben mit geladenen Architekten wurden – wie vertraglich mit Unibail-Rodamco vereinbart – die Entwürfe sämtlicher Gebäude verfeinert, bei allen Gebäuden mussten sie an aktuelle Nutzungsanforderungen angepasst werden. Eine wesentliche Veränderung im Vergleich zum alten Konzept des südlichen Überseequartiers ist die Verringerung des Büroflächenanteils zugunsten des Wohnens. Die Wohnungen entstehen zum überwiegenden Teil nördlich der U-Bahn-Trasse, damit sind Nutzungskonflikte mit dem Kreuzfahrtterminal und mit dem spätabendlichen Entertainmentbetrieb ausgeschlossen.

Für das Wohn- und Handelsgebäude südlich der Überseeallee gegenüber des Sumatrakontors ist ein komplett neuer Architekturentwurf entstanden. Die verschachtelt wirkende Fassade bietet gute Sichtmöglichkeiten für alle Wohnungen. Ein Riegel mit fünf Wohngeschossen schließt das U-förmige Gebäude nach Süden zum Platz hin ab. So wird in dem Quartier eine angemessene Privatsphäre geschaffen, verstärkt durch eine begrünte Dachlandschaft.

Eine weitere Möglichkeit, in einem belebten Quartier eine hohe Wohnqualität zu bieten, nutzt das östliche Nachbargebäude: Die Architekten haben ein Gebäude entworfen, in dem sich die Wohnungen um einen großzügigen privaten Innenhof gruppieren. Auch in das Gebäudeensemble von Kreuzfahrtterminal, Hotel und Einzelhandel lässt sich Wohnen gut integrieren: Der völlig neu konzipierte Wohnturm im Norden steht auf einem Sockel mit Einzelhandelsnutzflächen und bietet Wohnen mit Park- und Wasserblick im hoch urbanen Umfeld.

Mit der Überarbeitung des Gesamtkonzeptes für das südliche Überseequartier wurden auch die Freizeit- und Entertainmentnutzungen des Überseequartiers konkretisiert, einige Gebäude mussten daraufhin angepasst werden. Ein Beispiel dafür ist das Büro- und Handelsgebäude, direkt am U-Bahn-Ausgang am Platz. Dieses Gebäude bildet den Auftakt zum zentralen Ensemble mit Einzelhandel, Kino und Gastronomie. Großzügige Öffnungen im Erdgeschoss und das verglaste Foyer im 2. Obergeschoss schaffen eine hohe Präsenz und eine einladende Geste.

Direkt südlich schließt sich das größte Gebäude innerhalb des Einzelhandels- und Freizeitensembles an. Es vereint Einzelhandel, den Hauptteil des großen Kinos mit über zehn Sälen und einen Gastronomiebereich. Passend zur Entertainmentnutzung zeigt sich die Fassade mit frei ausschwingenden Ziegelflächen.

Mit einem Ensemble aus Kreuzfahrtterminal, zwei 60 Meter hohen Türmen in der Mitte und einem skulpturalen 70 Meter hohen Bürogebäude am Magdeburger Hafen erhält das südliche Überseequartier einen stadtbildprägenden Abschluss zur Elbe. Hier wird der Backsteincharakter aufgelöst in helle, gläserne Fassaden, die Fluss, Hafen und Himmel widerspiegeln.

Das Kreuzfahrtterminal umfasst weitere Nutzungen, die miteinander verknüpft sind: Neben dem eigentlichen Kreuzfahrtbetrieb mit unterirdischem Busbahnhof, Pkw-Stellplätzen und einer Taxivorfahrt sind zwei Hotels sowie Einzelhandelsflächen untergebracht.

Am Eingang des Magdeburger Hafens ragt ein Büroturm 70 Meter in die Höhe. Wie Schmucksteine im Facettenschliff geformt, sollen die Fassaden Wasser und Himmel reflektieren. Im Inneren wird ein großer Teil der Büroflächen für das südliche Überseequartier untergebracht, aber auch öffentliche Plätze in den Erdgeschossen.

Ein ziemlicher Haufen Stahl, Glas, Stein und Beton soll bis 2021 verbaut werden, fast schon klar, dass hier eine logistische Meisterleistung vonnöten ist. Einer der Kniffe, der geplant ist, ist dabei die Auslassung der Fläche vor dem 25hours Hotel, um eine nahe Logistikfläche zur Verfügung zu haben. Der große Teil des Quartiers soll möglichst zeitgleich 2021 eröffnet werden, die Logistikfläche anschließend bebaut werden. Mit der ersten Baumaßnahme, dem Bau der großen Baugrube, wird voraussichtlich 2017 begonnen. Auch ohne Olympia genug Bautätigkeit, die mit Sicherheit im Eiltempo durchgezogen werden wird.

Ein Bauprojekt dieser Größenordnung kommt natürlich nicht ohne Kritik aus: Da sind zum einen Befürchtungen, dass neue Shoppingflächen in dieser Größenordnung Kaufkraft aus allen Ecken Hamburgs abziehen wird – vor allem auch aus der Innenstadt. Anwohner befürchten den endgültigen Verkehrskollaps in der HafenCity – möglicherweise nicht zu Unrecht. Entgegen den Beteuerungen aller Projektbeteiligten, dass das Center auch positiv auf die restliche HafenCity wirken wird, fürchten die Gewerbetreibenden die Sogwirkung einer Mall mit U4-Anschluss. U4, aussteigen, shoppen, und mal eben an die Elbe Kreuzfahrtschiffe gucken, da könnte das Hinterland des Centers schnell ins Hintertreffen geraten. Zunächst aber sollte man sich auf die Schließung der größten Baulücke freuen, alles andere kommt so oder so.    MB