Zwölf Jahre Faschismus, 70 Jahre Frieden

Die Speicherstadt nach dem Krieg (Quelle: HHLA)
Die Speicherstadt nach dem Krieg (Quelle: HHLA)

Das Ende des Zweiten Weltkrieges markiert für Hamburg einen wichtigen Wendepunkt in der Stadtgeschichte, sowohl im politischen als auch im architektonischen Sinne 

Für die meisten heute lebenden Menschen ist der Zweite Weltkrieg nur eine Episode aus den Geschichtsbüchern und aus den Erzählungen ihrer Eltern oder Großeltern – sofern diese denn bereit waren, aus diesen Zeiten zu berichten. Am 8. Mai ist es 70 Jahre her, dass die unrühmliche Episode deutscher Geschichte ein Ende mit der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht fand, fünf Tage vorher war Hamburg von britischen Truppen besetzt worden. Drei Wochen zuvor war der letzte große Luftangriff auf Hamburg geflogen worden, der 210. Luftangriff der Alliierten auf Hamburg, der letzte, bei dem Tote zu beklagen waren. Zurück blieben eine zerstörte Stadt und ein zerstörter Hafen. Nach Kriegsende blockierten 3.000 Wracks die Hafengewässer, von 831.000 Quadratmetern Speicherfläche im Jahr 1938 waren noch 236.000 einsatzfähig, von 450 Kilometern Hafenbahngleisen noch 145, von 1.108 Kranen noch 230. Die Umschlagkapazität des Hamburger Hafens lag 1945 bei weniger als zwei Millionen Tonnen und entsprach dem Stand von 1865 vor der Inbetriebnahme des ersten modernen Hafenbeckens am Sandtorkai. Rund 53 Prozent des gesamten Hamburger Wohnraums waren zerstört worden. Allein vom 23. bis 28. Juli 1943 bei der Operation Gomorrha 263.000 Wohnungen verloren, bis zum Kriegsende sollten es fast 300.000 Wohnungen werden – die mit weitem Abstand größte Verlustzahl in ganz Westdeutschland. Zehntausende tote Hamburger, weit über 30.000 bei der Operation Gomorrha gestorben, hatte die Stadt zu beklagen. Bei Kriegsende waren 80 Prozent der Hafenanlagen zerstört, die Speicherstadt zu drei Vierteln und die Hälfte der Hafenbrücken. Die großen Elbbrücken blieben hingegen intakt. Eine ganze Stadt machte sich mit ungeheurer Energie an den Wiederaufbau, und schon 1956 galt der Kraftakt im Großen und Ganzen als abgeschlossen. Dabei war es nicht der erste gravierende Einschnitt in die Architektur Hamburgs. Schon der große Brand von 1842 und der Bau der Speicherstadt hatten das Gesicht der Hamburger Innenstadt und des Hafenrandes verändert – ähnlich wie es jetzt faktisch bei der Neuerfindung des Hamburger Zentrums mit der Entwicklung der HafenCity, Neuen Mitte Altona und vielen Projekten zur Belebung der Innenstadt der Fall ist. Doch mit den Spuren des Krieges und des Wiederaufbaus wird Hamburg auch heute noch konfrontiert. Das ist zum einen dem raschen Aufbau geschuldet, bei dem die damaligen Verantwortlichen zum Teil auf schon vorhandene Pläne zum Umbau Hamburgs in eine sogenannte Führerstadt zurückgriffen. Sie hatten eine radikale Modernisierung Hamburgs vor- und den Widerstand schwinden gesehen, mit dauerhaften Folgen wie der Ost-West-Straße, die erst durch die Zerstörungen möglich gemacht wurde. Die zweite Strömung kümmerte sich mehr um die Restituierung des alten Zustands, um den Wiederaufbau im eigentlichen Sinne. Auf der Hafenseite wurde die vollständig zerstörte Katharinenkirche wieder in den ursprünglichen Zustand versetzt, und Werner Kallmorgen kümmerte sich um den Aufbau der Speicherstadt und die Füllung der durch die Bomben gerissenen Lücken durch angemessene Neubauten. Dabei wurde nicht zimperlich mit der Vergangenheit umgegangen. Die Gelegenheit war günstig, und neben großer Aufbauarbeit wurde in der weiteren Nachkriegszeit viel historische Bausubstanz abgerissen und damals modernen Neubauten Platz gemacht. Der Dovenhof musste dem IBM- und SPIEGEL-Hochhaus Platz machen, der Kaiserspeicher wich ebenfalls einem Entwurf von Kallmorgen. Der Weg von einem völlig zerstörten Hamburg in eine Stadt, in der die Narben des Krieges nur noch gelegentlich zu sehen waren, fand in einem Zeitraum statt, vor dem heutige Generationen – die es in einer ähnlichen Zeitspanne gerade so schaffen, an derselben Stelle wie Kallmorgens Kaispeicher A eine Philharmonie entstehen zu lassen – nur noch den Hut ziehen können. Zumal die damaligen technischen Möglichkeiten und Ressourcen ungleich begrenzter waren als heute. Unter der Erde, auf der Erde und über der Erde herrschten Zerstörung und Chaos in Infrastruktur und Bausubstanz vor, die die heutige Vorstellungskraft sprengen. Und trotzdem fanden die Hamburger noch die Zeit, die schon damals nicht mehr zeitgemäßen Speicher der Speicherstadt wieder instand zu setzen – eine Leistung, die vielleicht noch dieses Jahr mit der Ernennung zum Welterbe honoriert wird.

 

 

 

 

 

 

 

 

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