William Lindley und die Hamburger Wasserversorgung

Phönixsaal

Büste von Lindley
Büste von Lindley

Feuer und Wasser – Wasserversorgung im Feuersturm

„Vivas et speres!“ (Lebe und hoffe!) steht auf dem reichverzierten Rahmen, der das Gemälde von Arthur Fitger umschließt. Dieser hoffnungsvolle Spruch begrüßt den Besucher, der den Phönixsaal betritt. Die Schutzpatronin Hamburgs wandelt über die Asche der zerstörten Stadt. Wie der Vogel Phönix ersteht die Stadt beziehungsweise Hammonia neu aus den Ruinen. Ihr verdankt dieser Raum seinen Namen. Viel Holz und eine in Gold- und Rottönen gehaltene Velourtapete schmücken diesen Raum, der Platz für 40 Personen bietet. Oft schreiben sich hier Staatsgäste ins Goldene Buch der Stadt ein. Einmal im Monat finden hier Trauungen statt, die beim Standesamt Hamburg-Mitte beantragt werden können. Hochzeiten im Rathaus sind so beliebt, dass bereits alle Termine für 2013 vergeben sind! „Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit und neues Leben blüht aus den Ruinen.“ Auch das Schiller-Zitat aus „Wilhelm Tell“ soll Zuversicht vermitteln. Überall ist der Bezug zum Großen Brand klar erkennbar. Im Sockel des Rahmens sind zwei wichtige Daten eingearbeitet: 1842, der Große Brand zerstörte fast die ganze Innenstadt, und 1897, die Eröffnung dieses Rathauses. Lorbeeren umranken die Medaillons von William Lindley, Th. Dill, J. Dalmann und J. H. Eichern – Männer, die sich um die Bekämpfung des Brandes verdient gemacht haben. Inmitten all dieser Pracht verliert Hammonia fast ein wenig an Strahlkraft. Rechts neben dem Kamin befindet sich ein bizarres Gebilde: zwei ineinander verschmolzene Silberbarren, die aus dem gesprengten alten Rathaus gerettet wurden. Gegenüber von Hammonia befindet sich ein weiteres Zeugnis der Katastrophe: In dem hölzernen Medaillon sind die Bezirke, die durch den Brand komplett zerstört wurden, rot lackiert. Fast die gesamte damalige Innenstadt wurde zerstört, 20.000 Menschen verloren ihre Wohnung, 50 ihr Leben. Die damals unzureichende Löschwasserversorgung war ein Grund für die unglaubliche Zerstörung. Dieser Brand war letztlich der Grund, die Wasserversorgung komplett zu sanieren. Die Bürgerschaft wollte die Stadt mit einem neuen Konzept wieder aufbauen, ein staatliches Wasserversorgungsnetz und eine Abwasserentsorgung sollten entstehen. Bis weit ins 14. Jahrhundert gab es in Hamburg keine geregelte Wasserversorgung. Man versorgte sich mühsam aus Brunnen, sammelte Regenwasser oder ließ sich vom bekanntesten Hamburger Wasserträger Hans Hummel das Wasser bringen. 1531 wurden die ersten Alsterwasserkünste, die frühen Wasserwerke, eingerichtet. Von hier aus wurde das Wasser über ein Leitungssystem in die wohlhabenden Haushalte transportiert. Bis 1822 wurde das Wasser nur der Alster und den Fleeten entnommen, in die aber auch Abwasser und Unrat geleitet wurde! Dadurch war das Wasser so stark belastet, dass immer wieder Typhus und Cholera auftraten. Aber auch die 1822 entstandene Bieber’sche Elbwasserkunst an den heutigen St. Pauli Landungsbrücken, das erste Wasserwerk, das der Elbe Wasser entnahm, brachte keine Verbesserung der Wasserqualität. Ein Übriges tat die wachsende Stadt. Zwischen 1823, dem Beginn der städtischen Wasserversorgung bis zur katastrophalen Cholera-Epidemie 1892 wuchs die Stadt von 190.000 auf 620.000 Einwohner an! Es gab keine Abwasserkanalisation und alles Abwasser gelangte ungefiltert in die Elbe. Das Elbwasser wiederum wurde unfiltriert in die Leitungsnetze gegeben. Eine Filteranlage war bei der Planung der Wasserwerke zwar vorgesehen, wurde dann aber aus finanziellen Erwägungen wieder verworfen. Bereits vier Monate nach dem verheerenden Brand, am 1. September 1842, verabschiedete die Bürgerschaft einen Plan zum Aufbau der Stadt. Eine Expertenkommission, die Technische Kommission, wurde gebildet. Dieser Gruppe gehörten die Architekten Alexis de Chateauneuf und Gottfried Semper sowie William Lindley an.

Im Phoenixsaal
Im Phoenixsaal

Lindley war ein genialer britischer Ingenieur, der während seines Aufenthalts in Hamburg zwischen 1838 und 1860 maßgeblich zur Modernisierung der Stadt beitrug. 2008 widmete ihm das Museum für Hamburgische Geschichte eine eigene Ausstellung. Die Expertenkommission entwarf breite Straßen mit Gasbeleuchtung, eine Kanalisation und eine öffentliche Wasserversorgung. Der Bau der Kanalisation wurde bereits im November 1842 in den Großen Bleichen begonnen. Es sollte das erste kontinentale Abwassersystem werden: Zur damaligen Zeit verfügte in Europa lediglich England über ein leistungsfähiges unterirdisches Rohrleitungssystem. 1843 ging dieser erste Hamburger Abwasserkanal in Betrieb (und hielt im Übrigen bis 1992). Das System war ebenso genial wie einfach: Es wurden eiförmige Kanäle aus Ziegelstein gebaut, deren Form die Fließgeschwindigkeit erhöhte, ohne die Aufnahmekapazität zu vermindern. Diese „Siele“ waren begehbar und wurden mit Regenwasser und den Abwässern der Haushalte gespeist. Wenn nötig, wurde mit aufgestautem Alsterwasser gespült. So gab es kein stehendes Wasser und auch kaum Geruchsbelästigung. Die Endrohre wurden allerdings direkt und ungefiltert in die Elbe geleitet. Die Gezeiten und häufigen Hochwasserstände der Elbe sorgten dafür, dass oft Wasser in die Kanäle drängte und die Stadt überflutete. Auch dafür hatte Lindley eine Lösung: Bei ansteigendem Wasser gab es selbsttätig schließende Fluttore! Bei ablaufendem Wasser öffneten sie sich wieder, und das aufgestaute Wasser konnte abfließen. All dies waren nicht nur revolutionäre, technische, sondern auch sozialreformerische Neuerungen. Die Wohnungen der armen Leute wurden mit Trinkwasser versorgt und nach und nach an das öffentliche Siel-System angeschlossen. 1850 hatten bereits ein Drittel der Haushalte einen eigenen Wasseranschluss, und das Leitungssystem betrug 62 Kilometer. William Lindley sorgte mit seinem modernen Kanalsystem für die Grundlagen unserer heutigen Wasser- und Abwasserversorgung in der Stadt. Heute versorgt Hamburg Wasser etwa zwei Millionen Menschen über ein 5.478 Kilometer langes Versorgungsnetz mit Trinkwasser.

Ein volkstümliches Gedicht lautete seinerzeit:

„Vom Tier im Hamburger Wasserrohr

Da kommen 16 Arten vor:

Ein Neunaug’, Stichling und Aal

Drei Würmer leben in dem Strahl

Drei Muscheln und drei träge Schnecken

Sich mit der muntern Assel necken

Ein Schwamm, ein Moostier, ein Polyp

Die dringen lustig durch das Sieb

An toten Tieren kommen raus

Der Hund, die Katze und die Maus

Noch nicht gefunden sind, Malheur

Der Architekt und Ingenieur.[1