Einem Phänomen auf der Spur

Spidercity
Spidercity

Werden wir diesen Sommer wieder zur SpiderCity?

Zu unseren Füßen liegen sie und warten. Warten auf wärmere Temperaturen. Neuankömmlingen in der HafenCity sei nämlich gesagt, dass wir hier gar nicht so allein sind, wie manch einer es gerne behauptet. Die kleinen Zwischenräume und Spalten unserer Balkone und Terrassen dienen dieser Tage als Herberge für die Brückenspinne, die dort ihre jahreszeitlich bedingte Winterstarre hält.

Es wurde schon viel über sie geschrieben und diskutiert; doch nachdem sie sich im letzten Sommer weniger blicken ließ als in den Jahren zuvor, ist sie bei einigen Anwohnern schon fast in Vergessenheit geraten. Jenen, die schon auf einen Rückgang der Spinnenpopulation gehofft hatten, sei nun allerdings gesagt, dass das verringerte Aufkommen der Brückenspinne letztes Jahr einfach temperaturbedingte Gründe hatte. Aufgrund des unterdurchschnittlich kalten Wetters im Frühling und des milden und regnerischen Sommers war 2012 einfach kein gutes Spinnenjahr. Temperaturen um die zwölf bis 15° Celsius sind ideal, um die Spinne aus der Winterstarre zu locken. Dies dürfte bei einem normal verlaufenden Frühling etwa im April der Fall sein. Sobald die Sonne also ihre wärmenden Strahlen zu uns schickt, gibt es eine Menge neuer Nachbarn zu begrüßen!

Und nun? Die Attraktivität von Spinnennetzen, Häuserwänden, die mit weißem Spinnenkot übersät sind, und auch die des Tieres selbst hält sich zugegebenermaßen stark in Grenzen; kann man also etwas dagegen tun und wenn ja, sollte man?

Die „Wissenschaftliche Expertise über die Reduzierung von Spinnenbefall in der HafenCity Hamburg“, eine Doktorarbeit an der Universität Hamburg, hat sich auch schon mit dieser Frage beschäftigt. In diesem Zusammenhang spreche ich mit Prof. Schneider, Professorin für Verhaltensbiologie an der Universität, die mir als erstes versichert, dass die Brückenspinne (Larinioides sclopetarius) ein sehr friedliches Tier sei, welches keinerlei aggressive Merkmale aufweise und selbst dann nicht zubeiße, wenn es sich in die Enge getrieben fühlt. Ich werde es sicher niemals ausprobieren, aber gut zu wissen, ist es trotzdem.

Eines ist von vornherein klarzustellen, ganz vertreiben können wir die Brückenspinne aus der HafenCity nicht. Dazu herrschen hier einfach zu ideale Lebensbedingungen für sie. Brückenspinnen leben immer in der Nähe von fließenden Gewässern, da sie sich von Insekten ernähren, die auf dem Gewässer leben. Überall, wo wassernah gebaut wird, entstehen also zwei gute Gründe für die Brückenspinne, sich dort auch niederzulassen: Die Gebäude, gerade wenn sie wie hier oft der Fall, verwinkelt gebaut sind, bieten geeignete Möglichkeiten, Netze zu spinnen, und das künstliche Licht an den Häusern und Straßen lockt nachts Insekten und damit eine gesicherte Futterquelle an.

Chicago, London, überall dort, wo dem Wohnen am Wasser Trend nachgegangen wird, werden die Menschen von dem gleichen Spinnenproblem berichten. So weit brauchen wir aber gar nicht zu reisen. Die HafenCity ist in Hamburg nicht der einzige Ort, den die Brückenspinne ihr Zuhause nennt. Auch in Hoheluft um den Isebekkanal ist sie beispielsweise anzutreffen. Die subjektive Wahrnehmung der Anwohner ist dort allerdings eine andere als hier. Der Grund dafür wäre auch gleichzeitig eine gute Möglichkeit für die HafenCity, der übermäßigen Spinnenpopulation etwas Einhalt zu gebieten. Wie von Mutter Natur weitsichtig geplant, unterliegt alles Leben dem ewigen Kreis, und so hat auch die Brückenspinne natürliche Feinde. Vögel wie zum Beispiel Meisen und Spatzen wären ebendiese. In der Gegend um den Isebekkanal sind sie zahlreich vertreten, denn die reiche Natur bietet ihnen die richtige Lebensgrundlage. Die Rasen und Bäumchen bei uns in der HafenCity sind jedoch zu geputzt, so Prof. Schneider. Vögel brauchen Dickicht, um dort ihre Nester zu verstecken und Natur anstelle von Rollrasen; in dem lassen sich nämlich nicht genügend Würmer und Insekten für die Aufzucht der Vogeljungen finden. Wenn dies bei der Anlegung des Lohseparks berücksichtigt würde, wäre das ein wichtiger Schritt in Sachen „Operation Spinnenbefall“.

Danach erschöpfen sich dann auch schon langsam die Maßnahmen, die man in Bezug auf die Brückenspinne ergreifen kann. Im Rahmen der „Wissenschaftlichen Expertise“ hatte man über die Möglichkeit der künstlichen Reproduktion des weiblichen Sexuallockstoffes nachgedacht, um die männlichen Spinnen in Hormonfallen zu locken und so aus der HafenCity zu entfernen. Innerhalb einer Testreihe, die dazu durchgeführt wurde, hat sich allerdings herausgestellt, dass ein solches Vorgehen wenig erfolgreich sein würde. Ein Team von Biologen hatte in mehreren aufeinanderfolgenden Nächten sämtliche männlichen Spinnen auf der Suche nach Weibchen von einer bestimmten Häuserwand eingefangen und an der Alster wieder ausgesetzt. Jede Nacht ließen sich allerdings wieder genauso viele Spinnen an der Stelle finden wie in der Nacht zuvor. Der Versuch der Reproduktion des Lockstoffes wurde daraufhin eingestellt.

Wer sein Zuhause weitestgehend spinnenfrei halten möchte, muss auf regelmäßiges Säubern der Balkone und Terrassen achten. Außerdem sollten künstliche Lichtquellen nachts ausgeschaltet sein, die Locken nämlich Insekten an, und da Spinnen ihrem Futter folgen, auch diese. Alle weiteren Hausmittelchen und Gerätschaften, die ein Fernbleiben von Spinnen versprechen, sind leider nutzlos. Wer seine Terrasse also nicht aus Liebe zu der Pflanze, sondern wegen ihrer angeblichen Wirkung auf Spinnentiere mit Lavendel bestückt, darf dies laut Prof. Schneider getrost sein lassen, und auch die sogenannten Spinnenvertreiber für die Steckdose helfen beim Kauf lediglich dem Hersteller.

All die wirkungslosen Mittelchen bringen uns aber auch zu der Beantwortung der zweiten Frage. Dass wir die Brückenspinne nicht vertreiben können, haben wir bereits festgestellt; wir sollten es allerdings auch nicht. Sie ist ja nicht ohne Grund da und für uns sogar durchaus nützlich. Ihr reger Appetit auf Mücken hilft uns beispielsweise, möglichst ungestochen durch den Sommer zu kommen. Wir müssen uns wohl mit dem Gedanken anfreunden, unseren schönen Wohnraum mit jemandem zu teilen. Sicher, das bisher übermäßige Aufkommen der Brückenspinne versetzt nicht jeden in Entzücken; es ist wie so oft im Leben, die Menge macht’s. Aber wenn die HafenCity in Zukunft Platz für echte Büsche, Bäume und Sträucher schafft und so einem natürlichen und wirklich effektiven Gegner der Spinne hier ebenfalls ein Zuhause bietet, wird sich alles von allein regeln. Die Natur findet schon ihren Weg zu einem Gleichgewicht; hat sie bisher doch immer.

 

Friede der Kreatur

Spinnen waren mir auch zuwider

All meine jungen Jahre,

Ließen sich von der Decke nieder

In die Scheitelhaare,

Saßen verdächtig in den Ecken

Oder rannten, mich zu erschrecken,

Über Tischgefild und Hände,

Und das Töten nahm kein Ende.

 

Erst als schon die Haare grauten,

Begann ich sie zu schonen

Mit den ruhiger Angeschauten

Brüderlich zu wohnen;

Jetzt mit ihren kleinen Sorgen

Halten sie sich still geborgen,

Lässt sich einmal eine sehen,

Lassen wir uns weislich gehen.

 

Hätt’ ich nun ein Kind, ein kleines,

In väterlichen Ehren,

Recht ein liebliches und feines,

Würd’ ich’s mutig lehren,

Spinnen mit den Händen fassen

Und sie freundlich zu entlassen;

 

Früher lernt’ es Friede halten

Als es mir gelang, dem Alten.

 

Gottfried Keller (1819–1890)