Jedermanns Speicherstadt

Vom Theaterstück über die Seele der Hamburger Kaufleute zur Speicherstadt von morgen – Eine Diskussionsgrundlage zur Ernennung zum Weltkulturerbe

Ein Ort, an dem Hamburg eine große Vision fehlt, liegt im Herzen der Stadt: Die Speicherstadt. Klar, man möchte jetzt Weltkulturerbe werden, aber bei der Bewerbung spielen eigentlich ganz andere Faktoren eine Rolle. Hamburg möchte die Speicherstadt als Fotokulisse für Touristen haben, als übergroßes weltweites Werbeschild – was ansonsten mit der Speicherstadt passiert, ist dem Senat eigentlich egal. Den Planern der HafenCity ist der Backsteinriegel als Barriere zwischen der Innenstadt und dem erwünschten Ziel der Innenstadterweiterung eher ein Dorn im Auge, als Dekoration gerade mal toleriert. Die HHLA versucht – genau wie Unternehmen auch – gute Ergebnisse zu erzielen, und die gibt es halt nur, wenn man versucht, seine Flächen so teuer wie möglich zu vermieten. Eigentlich passt da die Bewerbung als Weltkulturerbe gar nicht ins Konzept, könnte es doch so enden, dass keine Veränderungen mehr erlaubt sind – adieu schöne neue Modernisierungswelt.

Neue Fenster in alten Gemäuern
Neue Fenster in alten Gemäuern

Zwar besteht immer noch die Hoffnung, dass, so lange die hübschen Fassaden – sprich die Kulissen – nicht angefasst werden, alle Beteiligten, Denkmalschutz, Kulturbehörde und UNESCO, ein oder auch mal zwei Augen zudrücken, doch die eigentliche Frage bei der Speicherstadt ist doch eine ganz andere: Was wollen die Hamburger eigentlich, was soll aus der Speicherstadt werden, denn immerhin ist sie städtisches Eigentum und letztlich auch Eigentum aller Bürger, ein historisches Erbe der ganzen Stadt. Bei einem solchen Stellenwert herrscht unter den Hamburgern erstaunliche Unkenntnis über die Speicherstadt als solches. Klar, jeder ist schon einmal im Miniaturwunderland oder im Dungeon gewesen und vielleicht auch mal im Museum oder im Restaurant. Wie es in den Böden abseits dieser Publikumsnutzungen aussieht, wissen aber die Wenigsten und selbst bei den bekannten Institutionen rekrutieren sich die Besucher häufiger aus Touristen als aus Einheimischen. Dabei besteht der noch nicht modernisierte Teil der Speicherstadt aus einem kunterbunten Universum der verschiedensten Nutzungen und Nutzer – aber mit jedem modernisierten Block werden es weniger. Was wollen die Hamburger wirklich? Geht der Umbruch in dieser Geschwindigkeit weiter wie bisher und werden die Pläne umgesetzt, gibt es die Speicherstadt demnächst nur noch als Kulisse, der jeder innere Charme abhanden gekommen ist. Werbeagenturen, Showrooms und – vielleicht – ein paar Luxuswohnungen, die Reste der alten Kultur in kleine Reservate gesperrt und geregelt. Ein Spiegelbild der HafenCity – hinter historischen Kulissen. Durch die wenigen Wohnmöglichkeiten klappen abends die Bürgersteige hoch, das Innere der Speicher wird immer mehr abgeschottet. Wer wissen will, wie zugänglich die Böden nach der Umnutzung zu Büros und Schauräumen sind, sollte einmal versuchen, sich selbst einen Einblick in die Räumlichkeiten von HPA, Kolle-Rebbe oder HHLA zu verschaffen – weiter als bis zum Eingang kommt der Otto-Normalverbraucher nicht.

Die Speicherstadt
Die Speicherstadt

Dabei gibt es für solche Nutzer genügend Flächen im Hamburg – und jeden Tag entstehen mehr. Die Speicherstadt bietet für moderne Büronutzungen keine geeigneten Flächen. Keinen doppelten Boden, geringe Raumhöhe und tiefe Stockwerke mit viel zu wenig natürlichem Licht. Ein ähnliches Problem haben im Übrigen auch die Flächen im Chilehaus. Büro- und Wohnnutzung wird nur durch umfangreiche Umbauten im Inneren möglich – wie schon in vielen modernisierten Speicherstadtblöcken geschehen. Der ursprüngliche Charakter der Böden ist dabei meist verloren gegangen – und wenn Hamburg nicht aufpasst, gehen demnächst auch die Reste der ursprünglichen Speicher verloren. Dabei könnten die Speicher ein Aktivposten sein, der eine echte Verbindungs- und Belebungsqualität für HafenCity und Altstadt darstellt. Die Vision: Weitgehende sofortige Veränderungssperre und Festschreibung des Status quo. Vergabe der übriggebliebenen Böden an Künstler, Handwerker, Kunsthandwerker, Musiker und kleine Manufakturen unter der Maßgabe der Politik der offenen Tür, soll heißen, dass alle Nutzer dazu beitragen, dass Besucher die einzelnen Speicherblöcke entdecken können und auch dazu eingeladen werde. In den Erdgeschossen können Gastronomische und Handelsflächen das Entree zu den Speichern bilden. Öffentliches Leben kehrt ein, die Böden werden geöffnet und bieten im Originalzustand neue Interpretationen des Alten, verbinden zu allen Tageszeiten den neuen Stadtteil am Wasser mit der Innenstadt – und nicht zu vernachlässigen: Eine riesiges Angebot an günstigen Flächen in zentraler Lage, ein gigantisches Kreativquartier, das seinen Namen auch verdient. Zwar ungeheizt und im Winter bitterkalt – aber so war der Charakter der Speicherstadt als Lagerhauskomplex geplant und so sollte er auch für zukünftige Generationen erhalten bleiben. Der Denkmalschutz darf nicht am Eingang zu den Speichern halt machen.