Das ehrbare Handwerk des Schneiders ist In den Köpfen der meisten Menschen in Deutschland unter die Räder gekommen. Entweder hat man die kleinen Änderungsschneidereien in den Nebenstrassen und Nischen vor Augen, oder teure Luxusinstitutionen wie Ladage & Oelke, in denen einem der Hauch von Tradition und Geschichte anspringt. Die Schneider sehen aus wie Harry Pendel im „Schneider von Panama“ und wirken alle ein wenig verstaubt. So weit die Theorie. Olaf Grotkopp ist die heutige Praxis. Studierter Bekleidungsingenieur mit Diplom, extrovertiert und modisch, ist er schon kurz nach dem Umzug von „Jo Freyherr“ in die HafenCity „angekommen“. Kommunikativ, an seinen Nachbarn und der HafenCity interessiert, verbringt er inzwischen mehr Zeit in der HafenCity als er wohl ursprünglich geplant hat.
Nett, sympathisch und offen - Schwellenangst muss man nicht habenZum einen, weil er erfolgreich ist, und zum anderen weil die HafenCity beginnt einen Sog auf ihn auszuüben. Ihn fasziniert das Leben am Kaiserkai und seine netten Nachbarn. Im Levantehaus, wo „Jo Freyherr“ vorher residierte war es auch ganz nett, in der HafenCity ist es aber netter. Dabei ist „Jo Freyherr“ beileibe kein „Hemdengeschäft“ wie es Nachbarn in einer ersten Fehlinterpretation vermutet hatten. Das Business, das Olaf Grotkopp betreibt, nennt sich Herren-Maßkonfektion und fußt auf dem altehrwürdigen Schneiderhandwerk. Aber – anders als viele vermuten – sieht diese Art von Maßschneiderei heute ganz anders aus als vor hundert Jahren.
Die Verkaufsräume liegen auf der KaiserkaiseiteEin Anzug aus der Maßkonfektion wird heute von vielen Spezialisten genäht, jeder Fachmann und mit der Routine von Jahren für seinen speziellen Arbeitsschritt. „Ein einzelner Schneider kann es mit diesen Spezialisten in der Qualität nicht aufnehmen“ sagt Olaf Grotkopp. Genauso wenig trifft die Vorstellung zu, dass wer einen Maßanzug will zu einem Schneider geht, sich vermessen lässt und nach einigen Wochen seinen fertigen Anzug erhält. Die Anzüge, die man bei Olaf Grotkopp im „Laden“ sieht sind nichts, dass man in dieser Form dort kaufen könnte. Dass, was da im Laden hängt sind sogenannte Schlupfmuster, Anzüge in hunderten verschiedenen Formen und Größen, Basis für eine Art „Rapid Prototyping“ im Kleidungsgeschäft. Grotkopp und seine Mitstreiter kennen die Eigenarten jedes Musters und können in den meisten Fällen schon bei Ankunft beurteilen welche Schlupfmuster zum zukünftigen Kunden passen. Vermessen wird natürlich trotzdem noch, das Muster dient aber sowohl für den „Schneider“ als auch für den Kunden zum besseren Verständnis der Wünsche des Kunden. Wie fühlt sich ein Stoff, wie fühlt sich ein Schnitt getragen an?
Vermessen wird auch heute nochRechtzeitige Erkenntnis erspart Enttäuschungen und Ärger. Es ist zwar noch nicht das endgültige Modell, aber durch die Vielfalt vermittelt das Schlupfmuster einen Eindruck nahe am letztlich gekauften Produkt. Ein Komfort, den viele Kunden zu schätzen gelernt haben. Trotzdem dauert der Prozess des Vermessens und Anprobierens immer noch mindestens eine Stunde, je nach dem, wie kompliziert eine Statur ist. Am Ende steht eine komplette Checkliste mit Maßen und Eigenarten, auf deren Basis auch zukünftige Anzüge genäht werden können. Durch eine komplett von ihm entwickelte Konstruktionssystematik lassen sich so die Anzüge dann in hoher Qualität überall in der Welt schneidern.
Olaf Grotkopp - Zweiter Vorname Joachim (Jo!) und in der Vorgeneration FreiherrDen Preis beeinflusst dabei maßgeblich die Wahl des Oberstoffs. Je feiner das Gewebe, desto teurer wird der Anzug. Stichworte wie „Super-Fine 130’S“ benennen dabei Anzugstoffsqualitäten. Je höher die Zahl desto feiner das Gewebe, desto edler die Tuche, desto vielfach eine geringere Knitterfaltenbildung. Es kommt aber auch vor, dass Kunden ihre eigenen Stoffe mitbringen. So erzählt Olaf Grotkopp von einem Kunden, der in einem Nachlass einen Ballen exquisiten Stoffes gefunden hat und sich jetzt regelmäßig Anzüge daraus schneidern läßt.
Der schöne VerkaufsraumGerne weist Grotkopp auch auf seine Kunden in aller Welt. Selbst aus der Herrenmodenmetropole London bestellen zufriedene Kunden in der HafenCity. Das können sie auch, denn einmal Maß genommen, passen die Anzüge lange Zeit und benötigen nur von Zeit zu Zeit marginales „Tuning“. Dieses Know-how nutzen auch gerne Firmen mit Anspruch an die Bekleidung ihrer Angestellten. Ganze Kollektionen zum Beispiel für Hotels entwirft das Team von „Jo Freyherr“, oder auch beliebt: In Kooperation bekommen die Angestellten, Außendienstler und Partner einer Firma Voucher zum ermäßigten oder kostenfreien Erwerb eines Maßkonfektions-Anzuges. Dann kommen ganze Abteilungen in die HafenCity und lassen sich vermessen. Diese Firmengutscheine sind durchaus attraktiv, machen sie doch auch für Nicht-Spitzenverdiener einen Maßanzug erschwinglich. Dabei ist auch heute in Zeiten von „Casual Fridays“ die Kleidung ein Aushängeschild für eine Persönlichkeit. Ein geübter Blick sieht am Faltenwurf und gemäß einer intuitiven Harmonielehre, wieviel Wert ein Anzugträger auf Qualität gelegt hat. Ein schlecht sitzender Anzug ist wie eine Visitenkarte aus dem Bahnhofsautomaten -Auch in der eigentlich lässigen HafenCity.
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