Tagebuch eines Gefangenen

Jimmy lernt lesen (Grafik: Maria Knuth)
Jimmy lernt lesen (Grafik: Maria Knuth)
Mein Leben in der HafenCity von Jimmy F.

Was bisher geschah: Jimmy der Kater glaubt Opfer einer langanhaltenden Entführung zu sein. Aufgrund einer achtlos liegengelassenen Gebrauchsanweisung hat er sich in die Geheimnisse des iPads eingelesen und kann nun – trotz fehlenden Daumens – von seinem Leben im goldenen Käfig – wie er seine Wohnung mit Blick auf die Elbe nennt – erzählen. Mit Hilfe des Internets hat er einen Herausgeber gefunden …

Die Frau, die ich liebevoll MaMa nenne (die Red.: Abk. für Mach’ mal den Futternapf voll), ist endlich aus dem Haus. Nun kann ich mich ausführlicher vorstellen. Gestatten, mein Name ist Jimmy, ich wurde im Mai 2005 geboren und bin ein einzigartiger, kluger und hübscher Kater. Das steht auch so in meiner Geburtsurkunde (die Red.: Vermutlich hat Jimmy die Abk. EKH für europäische Kurzhaarkatze falsch übersetzt.). Die einen finden mich süß, die anderen sagen, ich sei schmusig, MaMa meint, dass ich eine psychotische Kampfkatze bin. Auf jeden Fall bin ich schlau. In den vielen Jahren meiner Gefangenschaft habe ich viel gelesen, es liegen auch immer Bücher, Zeitungen und Zeitschriften bei uns rum. Ich gebe zu, dass ich mir zuerst nur die Bilder angeschaut und die Seiten angeknabbert habe. Erst nach einem Jahr habe ich vor Langeweile angefangen, mich mit den Buchstaben zu beschäftigen. Lesen, Philosophieren, Fernseh- und Ausdemfenstergucken sowie Fressen und das Schreiben von Kolumnen sind meine Kernkompetenzen.

Leider kommt man damit heute auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht weit und meinem Traum von einem selbstbestimmten Leben bin ich damit auch kein Stück näher. Ganz anders ist mein Kumpel Alfredo von Eiderwind, wie sein Name schon sagt ein Kromfohrländer (Bisher dachte ich, dass das etwas zu essen ist.) Rassehund, der als Geschäftsführer zwei Läden am Überseeboulevard leitet und nebenbei noch ein Rudel führt. Ein echter dog-with-job. Dabei ist dieser Hund fast doppelt so alt wie ich und lesen kann er bestimmt auch nicht so gut, obwohl auch in seiner Wohnung Regale mit vielen Büchern sind (Anm. der Red.: Wir vermuten, dass es bei Alfredo ordentlicher ist und die Bücher in die Regale zurückgestellt werden.). Alfredos Erfolgsgeheimnis sind Sekundärtugenden: Er versteht es, sich beliebt zu machen. Er stellt sich tot, er tanzt und er gibt Pfote; manchmal sogar beide auf ein Mal. Und er tut so, als ob er den Menschen zuhört. Dafür lieben sie ihn, streicheln ihn und stecken ihm Leckereien zu. Ich beneide dieses Hundeleben, das ganz und gar nicht langweilig scheint. Um die Frauenquote zu sichern, hat jetzt auch noch Chocolate, die noch nicht mal ein Jahr alt ist, ein Bekleidungsgeschäft im selben Boulevard übernommen. Und das, obwohl sie zurzeit noch zur Schule geht und keine Rechnungen schreiben kann. Erschöpft von so viel Neid lege ich mich auf das Sofa und beschließe mal ein Stündchen zu schlafen und nebenbei über meine nächste Kolumne nachzudenken. Und da kommt mir eine Erkenntnis. Ich werde über die Hunde-Kita in unserer Straße schreiben und muss unbedingt recherchieren, ob es in unserem Stadtteil auch für Katzen Treffpunkte gibt …