Flucht nach vorn

In der Billwerder Bucht sollen schwimmende Flüchtlingsunterkünfte festmachen
In der Billwerder Bucht sollen schwimmende Flüchtlingsunterkünfte festmachen

Da kommt etwas auf Europa zu

Hamburg und ganz Deutschland befinden sich in einer einzigartigen geschichtlichen Periode: Seit bald 70 Jahren herrschen Frieden und wirtschaftlicher Wohlstand, ein Wohlstand, den selbst der historische Umbruch der Wiedervereinigung nicht schmälern konnte, ganz im Gegenteil, Deutschland geht es – egal, was ewig Nörgelnde auch einzuwenden haben – so gut wie nie. Ganz Westeuropa ist eine Insel der Glückseligen – noch. In großen Teilen der restlichen Welt sieht das ganz anders aus. Ein Gürtel von Krisenherden und Elend breitet sich an den südlichen und östlichen Grenzen Europas immer weiter aus, der Strom der Flüchtlinge wächst von Tag zu Tag. Gerne wird dabei zwischen Wohlstands- und echten Flüchtlingen unterschieden, und um in diesen, Kategorien zu bleiben, der Anteil der Flüchtlinge, die ihr bloßes Leben retten wollen wächst kontinuierlich. Klimaveränderung und Kriege werden diesen Strom in Zukunft in unvorstellbare Dimensionen anwachsen lassen: Die Bundesregierung rechnet mit bis zu 200 Millionen Flüchtlingen in den nächsten Jahrzehnten, die vor Europas Grenzen stehen werden. Auch in Hamburg ist das Problem inzwischen angekommen. Wie in allen europäischen Großstädten platzen die Aufnahmestellen aus allen Nähten, händeringend wird nach Möglichkeiten gesucht, Flüchtlinge halbwegs menschenwürdig unterzubringen. Der Hamburger Senat hat einen Notfallplan verabschiedet, ungenutzte Schulen, Containerdörfer auf P&R Parkplätzen und Wohnschiffe werden kurzfristig die Kapazitäten verstärken. Doch kaum sind die Pläne verkündet, geht die Diskussion in den betroffenen Stadtteilen los. Deren Credo lautet meist: „Überall, nur nicht bei uns.“ Nun steht die HafenCity derzeit nicht auf der Liste dieser Stadtteile, doch Wohnschiffe und Containerdörfer sind in Zukunft durchaus nicht unvorstellbar für den Stadtteil am Wasser. Bei den zu erwartenden Flüchtlingszahlen werden die derzeitigen Maßnahmen des Senats nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein, jeder Stadtteil wird sich mittelfristig auf den Zustrom von Flüchtlingen vorbereiten müssen. Und sie werden kommen. Jeder, der fordert, dass die Flüchtlingsschiffe bereits auf dem Mittelmeer gestoppt werden, sollte sich konsequenterweise freiwillig zum Dienst auf den Marineschiffen vor Lampedusa melden, dann persönlich den Befehl zum Ertränken von 500 Menschen geben und diese moralische Last nicht den jungen Männern und Frauen aufbürden, die jetzt den aufreibenden Dienst an Europas Grenzen tun. Denn: Es ist keine Alternative, diese Menschen in unmenschlichen überdimensionierten Flüchtlingslagern zu konzentrieren und zu hoffen, dass sich das Problem von alleine löst. Dabei entstehen nur Parallelwelten mit ganz eigenen Problemen, man importiert das ganze Spektrum an Konflikten, vor denen die Menschen geflohen sind. Um ein Problem dieser Größenordnung zu lösen, ist die gesamte Gesellschaft gefordert. Es müssen Integrationsinstrumente geschaffen werden, die weit jenseits von den heutigen eher halbherzigen Versuchen sind. Menschenwürdiger Wohnraum steht dabei an erster Stelle, doch genauso wichtig sind die begleitenden Integrationsmaßnahmen wie Deutschunterricht, Qualifizierungsmaßnahmen sowie die schnelle Erteilung einer Arbeitserlaubnis. Die Befürchtungen vom rechten Rand vor einer Überfremdung Deutschlands sind nur dann begründet, wenn der Staat und die Gesellschaft bei der Integration versagen. Das dabei – wie zur Zeit – die HafenCity von Senat und Bezirk wegen befürchteter Beeinträchtigungen der Entwicklung aus der Verteilung der Lasten ausgenommen wird, ist auf Dauer gegenüber anderen Stadtteilen nicht zu rechtfertigen und wird, wenn der Zustrom weiter wächst, eher zu unanständigen Diskussionen führen, die der HafenCity wenig dienlich sind.