Sind nur schlechte Nachrichten eine Schlagzeile wert?

Verwaiste Ladenflächen bestimmen inzwischen das Bild rund um den Großen Grasbrook
Verwaiste Ladenflächen bestimmen inzwischen das Bild rund um den Großen Grasbrook

Die mediale Aufmerksamkeit richtet sich auf die Situation des Einzelhandels in der HafenCity

Glaubt man der Berichterstattung des Hamburger Abendblattes, läutet die Schließung eines Brillengeschäftes, eines Blumenladens und einer Saftbar am Großen Grasbrook den Untergang des Einzelhandels in der HafenCity ein. Begleitet von Fernsehberichten, in denen die betroffenen Unternehmer ihre Probleme mit dem Vermieter schildern und der Inhaber des Optikergeschäftes öffentlich seine Insolvenz bekannt gibt, verbreitet sich in der Stadt das Bild eines seelenlosen Stadtteiles, aus dem die Unternehmer blitzartig flüchten müssen.

Und weil die betriebsbedingten Schließungen für den Beweis einer gescheiterten Planung noch nicht ausreichen, werden selbst frühere Geschäftsschließungen herangezogen, wie der Schuhladen, der tatsächlich wegen des Todes seiner Besitzerin aufgelöst wurde. Wenig hilfreich für eine ausgewogene Berichterstattung ist ein Fernsehinterview mit Jürgen Bruns-Berentelg, der als Vorsitzender der Geschäftsführung der HafenCity Hamburg GmbH von einem Zeitraum von 15-20 Jahren spricht, den der Einzelhandel brauche, um erfolgreich zu sein.

Man sollte meinen, dass all diese schlechten Nachrichten Grund genug sind, die Berichterstattung zu diesem Thema einzustellen. Die Meinungsbildung innerhalb des Quartier scheint abgeschlossen zu sein: „Wir haben es ja so kommen sehen“, heißt es auch unter Bewohnern des Stadtteiles, die erst Monate nach der Schließung des Blumenladens in einem Internetforum beteuern, dass sie immer dort eingekauft hätten! Und: „Ich kann es nicht mehr hören. Warum wird mein Stadtteil so zerredet?“ empört sich eine ältere Dame, die Fetzen eines Gespräches an der Kasse aufschnappt.

Ist zu diesem Thema schon alles gesagt? Ja, aber noch nicht von jedem, lautet die Antwort auf diese Frage. Und seitdem einige Besucher und Gäste beeindruckt von der aktuellen Berichterstattung dazu übergehen, in den Geschäften nachzufragen, wie denn so die finanzielle Situation der Gewerbetreibenden sei, haben sich der Stadtteil und die Gewerbetreibenden, die an dem von ihnen ausgesuchten Standort bleiben, eine differenzierte Berichterstattung verdient.

Nicole Stephani, die am Überseeboulevard mit ihren inhabergeführten Geschäften Nobodyisperfekt und Hafen-Spezerei vertreten ist, ist vom Konzept des Boulevards als Einkaufsstraße weiterhin überzeugt. „Es stimmt, dass wir wirtschaftlich noch nicht da sind, wo wir stehen wollen“ bestätigt sie „aber die Tendenz stimmt. Die steigende Kundenfrequenz durch Touristen und Tagesgäste sowie durch die Angestellten der naheliegenden Unternehmen freut uns. Und natürlich stellen wir uns mit unserem Konzept auf die  Kunden ein.“  Die Geschäftsfrau, die als erste in das neue Einkaufszentrum mit ihrem Geschäft für „Dinge, die das Leben einfacher machen“, zog und sich erst dann für die Eröffnung des zweiten Ladens entschied, weiß „dass es auch unserem Vermieter wichtig ist, dass ein langjähriges Mietverhältnis besteht. Wir stehen im ständigen Austausch, und ich habe das gute Gefühl, dass meine Anliegen gehört werden.“ Anders erging es Ali Ünsal. Der Blumenhändler, der mit „Blume fresh“ seit Jahren am Großen Burstah erfolgreich ist, eröffnete einen weiteren Blumenladen am Sandtorpark, auch weil er den Versprechen glaubte, dass bald einziehende Ankergeschäfte für eine hohe Kundenfrequenz sorgen werden. „Ich habe an dieser Stelle 250.000 Euro verloren“ erzählt er nach einem Gerichtstermin mit seinem Vermieter, der Union Investement, meinem Vermieter war es egal. Es hat sich nie einer darum gekümmert, wie es uns als Mieter geht und selbst die wegen Baumängel in Aussicht gestellten Mietminderungen wurden nicht eingelöst“. An dieser Stelle der HafenCity ist die Rede von 45 Euro pro qm-Mietfläche plus angekündigte Mieterhöhungen. Ein Betrag, der völlig losgelöst von der derzeitigen Entwicklung des Stadtteiles marktfern erscheint, weil es von den Mietern letztendlich nicht erwirtschaftet werden kann.

Auf schriftliche Nachfrage äußert sich auch Jürgen Bruns-Berentelg, der zu den Miethöhen einzelner Gebäude keine Stellung nimmt,  zu der Frage, ob er es für realistisch hält, dass Unternehmer bei solchen betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen die HafenCity als Standort wählen: „Es sind bereits über 150 Einzelhandelsunternehmen und 60 Gastonomen in die HafenCity gezogen, die HafenCity wird schon heute als ausgesprochen attraktiver Standort wahrgenommen. Den meisten Einzelhandelsunternehmen ist auch bewusst, dass sie zumindest für eine erste Entwicklungsphase moderate Erwartungen an Besucherfrequenzen und Umsatzzahlen einkalkulieren müssen. Das heißt vor allem, dass Eigentümer von Gebäuden und Mieter mit moderaten Mieten kalkulieren müssen, um die Fixkosten nicht hochzutreiben. Wir haben das wirtschaftlich dadurch unterstützt, dass an den allermeisten Standorten die anteiligen Grundstückskosten  für Erdgeschossflächen unter denen von Eigentumswohnungen liegen. Das heißt, Mieten von 20 Euro / qm oder niedriger wären auf Grund der Grundstückspreise über 10 oder 15 Jahre tragfähig.“ Eine Aussage, des obersten Projektentwicklers, die einige Vermieter wohl nicht für sich gelten lassen wollen.

Zurück an den Überseeboulevard oder besser gesagt an seine Rückseite: Antonio Fabrizi ist Inhaber des Club 20457 an der Osakaallee. Seit fast zwei Jahren an diesem Standort kommt sein Geschäftsergebnis nicht von allein. „Netzwerken ist das Geheimnis meines Erfolges,“ verrät er, „ und natürlich lange Arbeitstage mit einer hohen persönlichen Präsenz. Meinen Gästen ist es egal, ob sie in der HafenCity oder in der Schanze sind. Hauptsache sie fühlen sich wohl. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, dass die HafenCity außerhalb des Quartiers mehr und besser wahrgenommen wird als von vielen Anwohner“. Und dann erzählt er von Gästen, die zwar schon lange im Stadtteil leben, aber erst nach Monaten den Weg in sein Club finden. „An der fehlenden PR und Berichterstattung kann es nicht liegen“, stellt er fest und versteht die Gewerbetreibenden nicht, die dazu beitragen den eigenen Standort schlecht zu reden. „Ich würde als Besucher doch keine Lust haben, meine Zeit und mein Geld an einem Ort zu lassen, den selbst der Ladeninhaber nicht gut findet“ sagt der Clubbesitzer.

Dass die Gewerbetreibenden in der HafenCity je nach Lage mit unterschiedlichen Situationen konfrontiert sind, weiß Götz Weisener zu berichten. Der Koordinator der Interessengemeinschaft Gewerbe unterstützt Gewerbetreibende darin, gemeinsame Interessen zu vertreten.  „Es lässt sich viel mehr bewegen, wenn sich die Unternehmen einvernehmlich bei den zuständigen Stellen einsetzen“ weiß Weisener.  Diese Ansicht teilt die HafenCity Hamburg GmbH, die Interessierten auch rät, „eine sorgfältige Nachfrageanalyse zu betreiben, um das Angebot auf den zum Teil bereits bestehenden Markt gut zuzuschneiden, sehr stark serviceorientiert zu sein und auf die Bewohner und Unternehmen der HafenCity zuzugehen, den Standort gut zu wählen, denn nicht jeder ist für jedes Geschäft gleich gut geeignet, und die Miethöhen realistisch einzuschätzen.“

Zu guter Letzt helfen pragmatische Maßnahmen am schnellsten. Das geplante Duckstein-Festival und die Berichterstattung über eine „gescheiterte“ HafenCity werden viele Besucher in den Stadtteil bringen und je weiter die HafenCity sich vergrößert, um so mehr wird die Normalität einkehren. CF